(stm)
Am Frauentag fanden in Schwerin mehrere Aktionen statt. Eine der Aktionen die am Auffälligsten war, war die Demonstration des „Feministischen Bündnis Schwerin“ mit über 250 Teilnehmenden. Das Motto war auf vielen Plakaten zuvor in der gesamten Stadt zu lesen: „Feministischer Kampftag“. Was ist das Feministische Bündnis Schwerin, und was sind deren Ziele? Wir haben angefragt, ob die Aktiven aus dem Bündnis für ein Interview bereit sind – und bekamen eine Antwort.
Wir bedanken uns bei dem Bündnis, dass sie die Einladung zum Interview angenommen haben.
Frage: Wie bewertet ihr die Resonanz auf eure Demonstration am Frauentag und welche Botschaft wolltet ihr damit vermitteln?
Antwort: Wir sind absolut überwältigt vom 08. März in Schwerin. Wir hatten nicht mit so vielen Teilnehmer*innen gerechnet und freuen uns sehr darüber! Auch die unterschiedlichen Reden haben uns sehr berührt und uns gezeigt, dass wir etwas Gutes geschaffen haben.
Eine zentrale Botschaft, die uns wichtig war: Blumen alleine reichen nicht! Wir brauchen auch eine reale Verbesserung für Betroffene. Deswegen ist es auch nicht nur Frauentag – es ist feministischer Kampftag. Wir wollen aufmerksam machen auf all die Menschen, die durch das Patriarchat betroffen sind: Frauen, Lesben, inter*, nonbinäre, trans* und agender Personen.
Außerdem ist unsere Botschaft: Jeder Tag ist feministischer Kampftag! Diskriminierung gibt es das ganze Jahr. Wir wünschen uns dieselbe Aufmerksamkeit und dasselbe Engagement für feministische Themen an jedem Tag, nicht nur, wenn Blumen und Gleichstellungsbemühungen gut in die PR Strategie passen.
Frage: Könnt ihr uns einen Überblick über die Themen und Forderungen geben, die bei der Demonstration im Fokus standen?
Antwort:
In einer idealen Gesellschaft streben wir nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper in sämtlichen Lebensbereichen – sei es in Bezug auf Abtreibung, Vornamens- und Personenstandsänderungen oder jegliche andere Entscheidungen. Wir setzen uns für ein Leben ohne jegliche Form von Diskriminierung ein, sei es aufgrund von Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft, Klasse, Alter oder Behinderung. Es ist unser Ziel, Gewalt und Vorurteile wie Sexismus, Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Rassismus, Klassismus, Ableismus und andere Formen der Unterdrückung auszulöschen, um eine gerechtere und gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist das Schließen des Gender Pay Gaps, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen und gleiche Chancen für alle zu gewährleisten. Dabei wollen wir uns bewusst sein und uns der eigenen Privilegien bewusst werden, um einen konstruktiven und gemeinwohlorientierten Umgang mit ihnen zu ermöglichen.
Wir verstehen die Bedeutung von intersektionaler Diskriminierung und setzen uns dafür ein, sie angemessen zu berücksichtigen und zu bekämpfen. Jeder Mensch sollte frei von jeglicher Benachteiligung sein, die auf einer Kombination verschiedener Diskriminierungsfaktoren beruht.
Schließlich streben wir die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention an, um geschlechtsspezifische Gewalt und häusliche Gewalt zu bekämpfen und die Opfer angemessen zu schützen und zu unterstützen. Nur durch eine umfassende Umsetzung all dieser Ziele können wir eine inklusive und gerechte Gesellschaft schaffen, in der alle Menschen gleichwertig respektiert und anerkannt werden.
Frage: Wie könnte die Stadt Schwerin dazu beitragen, die Gleichstellung von Frauen und Männern voranzutreiben und welche konkreten Maßnahmen fordert ihr?
Antwort: Erst einmal damit, anzuerkennen, dass es auch in Schwerin mehr als zwei Geschlechter gibt. Cis Frauen, trans* Frauen, cis Männer, trans* Männer, nonbinäre Menschen, agender Menschen, inter* Menschen. Dies sollte endlich im Stadtbild erkennbar sein und kann durch einfache Maßnahmen umgesetzt werden:
- Genderneutrale Toiletten in allen öffentlichen Gebäuden und Ämtern.
- Mehrere Auswahlmöglichkeiten der Anrede in Formularen
- Verwenden von gendergerechter Sprache in offiziellen Schrifterzeugnissen
- Diskriminierungsschutz durch Gleichstellungsarbeit auch für Menschen, die sich nicht als Frau oder Mann identifizieren
- Mehr Plätze in Gewaltschutzmaßnahmen, z.B. Frauenhäusern.
- Umfassende und langfristig sichere Förderung von Projekten/Initiativen/Vereinen, die sich für mehr
- Schutzräume/Empowerment/Aufklärung einsetzen (Frauenhäuser, MädchenTreff,…)
- Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierung (z.B. von behinderten Frauen, geflüchteten queeren, gewaltbetroffenen Menschen) durch die betreffenden Ämter und Behörden
- Schulungen und Veranstaltungen zum Thema Antidiskriminierung in Kooperation mit Betroffenenorganisationen
- Bessere Aufklärungsarbeit an den Schulen, zB zu consent, Prävention von sexualisierter Gewalt, LGBTIQA+, kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeitsidealen
- Berücksichtigung von nicht-männlichen Perspektiven in der Stadt-/Bauplanung (zB Sicherheitsaspekte, gibt es ein unterschiedliches Nutzungsverhalten von Auto/Öffis/ Fußwegen und die Konsequenzen daraus,
- Abbau von Barrieren)
- Mindeststandards im Gewaltschutz im Jugendamt
- Ombudstelle für Kinderschutz und Jugendhilfe
Dies ist nur eine Auswahl an konkreten Forderungen. Weil wir damit nicht alle Perspektiven und Bedürfnisse abdecken können, benötigen wir mehr niedrigschwellige Möglichkeiten für die Partizipation von FLINTA*. Grundsätzlich sollte jede jede Entscheidung, die alle Schweriner*innen betrifft, geschlechtssensibel getroffen werden.
Frage: Wie wichtig ist der Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen feministischen Organisationen und Aktiven, sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene?
Antwort: Sehr wichtig. Wir alle kämpfen mit unseren Organisationen und weiteren Aktiven für das gleiche Ziel: eine lebenswertere Welt für alle. Viele Einzelkämpfe haben nicht die Schlagkraft wie ein Bündnis vieler. Das haben wir bei der 08. März-Demo selbst erfahren. Zudem sind viele Kämpfe miteinander verwoben und betreffen ähnliche patriarchale Strukturen. Die Themen, die jede Organisation und oder jede*r Aktive mit einbringen, sind alle ein Mosaikstein eines großen Ganzen. Wir lernen in unserer Gesellschaft zunehmend, wie wichtig ein intersektionaler Blick auf die Probleme der Welt ist. Wir möchten diese Probleme auch gemeinsam angehen.
Frage: Wie könnten beispielweise Männer in die feministische Bewegung einbezogen werden und welche Rolle spielen sie bei der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit?
Antwort: Ein erster wichtiger Schritt wäre anzuerkennen, dass auch Männer unter der Misogynie der Gesellschaft leiden. Toxische Männlichkeit sorgt dafür, dass Jungs noch immer von klein auf lernen, dass sie keine Emotionen zeigen dürfen, weil sie dann schwach, weiblich, rüberkommen. Eigene Bedürfnisse zu beachten ist für sie erst dann ein Thema, wenn sie z.B. durch ein Burn-Out dazu gezwungen werden. Ein zweiter wichtiger Schritt ist, die eigenen Privilegien in einer patriarchalen Gesellschaft anzuerkennen. Selbst wenn ein Mann selbst nicht sexistisch eingestellt ist, kann er alleine durch sein Geschlecht bevorzugt werden und profitiert passiv von der Diskriminierung anderer. Deswegen ist der dritte Schritt, die eigene Stimme dafür zu nutzen, solidarisch mit den Menschen zu sein, die vom Patriarchat diskriminiert werden, und sie in ihrem Forderungen aktiv zu unterstützen. Dass es selbstverständliche Unterstützung auch von Männern für unser Anliegen bereits gibt, war auch für uns und nach außen bei der Demo in der Teilnehmerschaft erkennbar.
Frage: Wie könnten feministische Anliegen besser in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht werden und welche Rolle spielen hierbei eurer Meinung nach die Medien (Der SVZ Artikel zeigt ja wie oberflächlich das Thema aufgegriffen wurde)?
Antwort: Es ist schön zu sehen, dass feministische Themen immer mehr Raum auch in den Medien einnehmen. Leider wird dabei aber auch sehr reißerisch berichtet, Hintergründe und Zusammenhänge sind da oft zweitrangig. Dabei sind es genau diese Zwischentöne, die komplexen Informationen hinter der Schlagzeile, worum es eigentlich geht, wenn wir von patriarchalen und diskriminierenden Strukturen sprechen.
Die hitzigen Diskussionen um das Selbstbestimmungsgesetz lassen z.B. meist die traumatischen und emotional belastenden Erfahrungen von trans* Frauen völlig außer Acht. Die sozial akzeptierte und durch Gesetze geförderte Rolle der Frau in der Gesellschaft ist noch immer die der Mutter und Hausfrau. Care-Arbeit (z.B. Erziehung von Kindern, Pflege von Angehörigen) hängt überwiegend selbstverständlich an Frauen. Männer, die sich in den eigenen Haushalt und die Kindererziehung auch nur zu geringen Anteilen mit einbringen, werden dafür gefeiert. Häusliche und sexualisierte Gewalt sind für FLINTA*s alltäglich und es mangelt an Plätzen in Frauenhäusern und weiteren Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt. Nach Trennungen wird plötzlich unterstellt, es hätte gleichberechtigte Rollenverteilungen gegeben und die minderjährigen Kinder werden z.B. entgegen ihrer bisherigen Lebenswelt in Wechselmodelle gezwungen, was dann als Gleichberechtigungsbeweis gefeiert wird, jedoch neue Diskriminierung darstellt und teilweise lebensferne Konstrukte für Kinder zu Tage bringt.
Außerdem herrscht bei einigen Menschen, darunter leider auch Journalist*innen, ein veraltetes Bild von Feminismus vor. Daher werden feministische Themen z.T. sehr kritisch dargestellt. Uns geht um eine bessere Welt für alle, in der Menschen jedes Geschlecht frei über sich und ihr Leben entscheiden können. Wir würden uns freuen, wenn mehr Medien tiefer in das Thema einsteigen und ihre Vorurteile abbauen würden.
Auch wünschen wir uns ein feministischeres Verständnis für Sprache und deren Auswirkungen. Wir haben es satt, wenn etwa von „Beziehungsdramen“ statt Femiziden berichtet, oder jeder zitierten Aussage einer Politikerin ein ganzer Absatz über ihre äußerliche Erscheinung vorangestellt wird. 2022 ist in Schwerin eine Frau ermordet worden. Die Berichterstattung ging nahezu gegen null und wäre ein wichtiger Anlass zu öffentlicher Ächtung, Trauer, Aufklärung und für Präventionsmaßnahmen gewesen.
Anmerkung der Redaktion, wir schrieben über Femizid.
Frage: Wie sieht eure Vision einer geschlechtergerechten Gesellschaft aus und welche Schritte müssten unternommen werden, um dorthin zu gelangen? Welche Schritte könnten in Schwerin gegangen werden?
Antwort: Wir kämpfen für eine bessere Welt für alle Geschlechter. Davon profitieren alle Menschen. Unsere zentralen Forderungen und Umsetzungsvorschläge haben wir ja schon genannt. Wir wünschen uns, dass endlich die Geschlechtsidentität nicht mehr maßgeblich bestimmt, welche Erfahrungen wir im Leben machen und welche Möglichkeiten wir haben, uns zu entfalten. Eine Welt ohne Diskriminierung scheint zwar noch nicht sofort greifbar – immerhin kämpfen Menschen schon seit über hundert Jahren am 08. März für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung – aber wir geben nicht auf.
Auch die Politik sollte mit uns und für eine geschlechtergerechte Zukunft kämpfen! Wir wünschen uns echte Veränderungen, die jährlichen Lippenbekenntnisse zum 8. März reichen dafür nicht aus. Die Gleichberechtigung aller Geschlechter gehört zu den demokratischen Grundwerten und ist damit nicht verhandelbar.
Unsere Forderungen an die Stadt: Schweriner Kommunalpolitiker*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen sollten sich im Bereich Diversitätssensibilität informieren und weiterbilden um menschlicher mit ihren Zielgruppen umgehen zu können. Dies gilt nicht als genereller Vorwurf, blinde Flecken gibt es jedoch überall. Eine geschlechtergerechte Gesellschaft passiert nicht einfach so. Es müssen alle daran arbeiten. Eine Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle im Sinne einer konstruktiven Fehlerkultur wäre hilfreich, um aus blinden Flecken zu lernen.
Frage: Welche weiteren Aktionen und Initiativen plant ihr in Zukunft und wie könnten sich Interessierte dabei einbringen?
Antwort: Für uns stand erstmal der 08. März im Mittelpunkt. Wir haben in der Zusammenarbeit gemerkt, wie sehr wir uns gegenseitig in unseren Anliegen verstärken können. Daraus ist der Wunsch gewachsen, auch über den 08. März hinaus zu kooperieren und uns bei der Erreichung unserer Ziele zu unterstützen. Wer sich für das Bündnis interessiert, findet uns auf Instagram @feministisches_buendnis_sn oder kann über feministisches-buendnis-schwerin@riseup.net Kontakt mit uns aufnehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde innerhalb eines kurzen Zeitraumes via Email Schriftverkehr geführt. Sollten Fragen offen geblieben sein, bitten wir dies zu entschuldigen.
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