(stm/ Kommentar)
Gewalt an Frauen und Kindern eindämmen und effektiv begegnen, das ist das Ziel der „Istanbul-Konvention“. Diese Konvention ist einem Bundesgesetz gleichgestellt und gilt auch in Schwerin. Ende November hat die Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Schwerin einen Bericht mit dem Namen „Informationen zur Istanbul-Konvention und dem Hilfenetz in der Landeshauptstadt Schwerin“ vorgelegt. Das Papier hat in der Stadtpolitik bisher kaum zu Reaktionen geführt, zum einen, da vielen Stadtvertretern schlicht nicht bekannt ist, was die Istanbul Konvention ist, zum anderen wohl deswegen, weil sie den Bericht nicht gelesen haben. Anders kann das ausbleiben von Reaktionen nicht erklärt werden.
Im Ergebnis muss der Umsetzungsstand im Einsatz gegen Gewalt an Frauen und Kindern in Schwerin schlicht als mangelhaft eingestuft werden. In einigen Punkten kann man nur von katastrophalen Bedingungen sprechen.

Jeden Monat werden Schutzsuchende aufgrund von Behinderungen abgewiesen

Es werden jeden Monat schutzsuchende Frauen und Kinder zurückgewiesen aufgrund vorhandener Behinderung/mangelnder Barrierefreiheit.
In dem Bericht werden an einigen Stellen gravierende Mängel direkt und indirekt benannt. So heißt es bezogen auf das Frauenhaus beispielsweise, dass Frauen und Kinder mit Behinderungen in Schwerin nur schwer oder gar keine Hilfeleistungen erhalten. Monatlich werden Betroffene abgewiesen, so beim Schweriner Frauenhaus. Grund für die Abweisungen – Behinderungen. So heißt es in dem Bericht:
„Es werden jeden Monat schutzsuchende Frauen und Kinder zurückgewiesen aufgrund vorhandener Behinderung/mangelnder Barrierefreiheit (Frauen mit Behinderungen sind überproportional von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffen), nicht ausreichender Kapazitäten, akuter Suchtproblematik und psychischer Erkrankungen. Auch das anfallende Nutzungsentgelt, welches von erwerbstätigen Frauen für sich und ihre Kinder zu entrichten ist, steht einer Zugänglichkeit und Barrierefreiheit entgegen.“
Keine eigene Ansprechperson für Kinder im Frauenhaus
Im Frauenhaus Schwerin gibt es keine eigene Ansprechperson für die Kinder. Die „Istanbul-Konvention“ sieht dies aber vor. Aktuell arbeiten beispielsweise im Schweriner Frauenhaus drei Vollzeitkräfte, die mit dem Regelbetrieb schlicht ausgelastet sind. Gezielte Betreuung für die Kinder ist nicht gegeben.

So heißt es in dem Bericht:
„Gemäß Maßnahmenkatalog wird insbesondere für die Beratung von Kindern und Jugendlichen eine zusätzliche Personalstelle gefordert. Die Istanbul-Konvention ruft als Schutzinstrument zur Gewährleistung der Rechte von Kindern auf. Die Maßnahmen sollen auf die spezifischen Bedürfnisse der Schutzbedürftigen Personen (auch Kinder) eingehen. Hier hat Schwerin enormen Nachholbedarf. Das Frauenhaus verfügt über keine eigene Ansprechperson für die Kinder. Die Interventionsstelle kann momentan die Kinder- und Jugendberatung nicht bedienen, da zu viele Fallanfragen auftreten.“
Das „Childhoodhouse“ kann zwar als eine gute Ergänzung angesehen werden, das Problem im Frauenhaus wird dadurch aber nicht gelöst.
Zusammenarbeit zwischen den Hilfsstrukturen „nicht ausreichend“
In dem Bericht wird eine weitere Schieflage deutlich. So werden die von der Istanbul-Konvention geforderten regelmäßigen Gespräche und der Austausch der Hilfsstrukturen in Schwerin untereinander als „nicht ausreichend“ bezeichnet. Deutlich wird, dass die Gleichstellungsbeauftragte eher etwas empfiehlt, statt zu fordern – und das, obwohl sie Probleme benennt.

In dem Bericht liest sich dies folgendermaßen:
„Um eine wirkungsvolle Zusammenarbeit zu gewährleisten, wird ein regelmäßiger Informationsaustausch mit dem Beratungs- und Hilfenetz und der Landeshauptstadt Schwerin beispielsweise über den Rat für Kriminalitätsvorbeugung oder einen Runden Tisch empfohlen. Die Zusammenarbeit allein zwischen der Gleichstellungsbeauftragten der Landeshauptstadt und dem Beratungs- und Hilfenetz ist hierfür nicht ausreichend. Es müssen alle Verantwortlichen zusammenkommen (Gericht, Polizei, Krankenhaus, Frauenarztpraxen etc.). Dabei muss jedoch benannt werden, dass die Zusammenarbeit mit der Justiz sich schwierig gestaltet. Die Richter sind sehr schwer zu erreichen….“
Barrieren verhindern Hilfestellung an betroffene Frauen und Kinder
Nicht nur räumliche/bauliche Barrieren führen dazu, dass Hilfsangebote von Betroffenen von Gewalt nicht genutzt werden können. Der Bericht gibt wieder, dass es auch sprachliche Barrieren gibt. Ebenso ist es für erwerbstätige Frauen oft nicht leicht, die notwendigen Entgelte aufzubringen. Im Bericht heißt es dazu:

„Die Istanbul-Konvention identifiziert gemäß Artikel 4 innerhalb der Betroffenen einige Personengruppen als besonders schutzbedürftig, weil sie in erhöhtem Maße von Diskriminierungen, Einschränkungen und Bevormundung sowie struktureller Benachteiligung betroffen sind. Diese Personengruppen werden oft von bestehenden Angeboten noch nicht ausreichend erreicht. Es wird daher empfohlen, ihnen Angebote besser zugänglich zu machen. Hierzu ist es wichtig, Barrierefreiheit nicht nur als räumliche/bauliche Dimension zu verstehen, sondern je nach Zielgruppe weiter zu fassen (z.B. sprachliche Barrieren).“
„Auch das anfallende Nutzungsentgelt, welches von erwerbstätigen Frauen für sich und ihre Kinder zu entrichten ist, steht einer Zugänglichkeit und Barrierefreiheit entgegen.“
Keine Täterberatung in Schwerin
Die Istanbul-Konvention legt zur effektiven Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Kindern auch einen starken Fokus auf die Täter. Im Artikel 16 werden Punkte eingefordert, die Hilfs- und Beratungsangebote an die Täter betreffen. Der Gedanke dahinter ist es, dass Täter nicht weiter Täter bleiben müssen. In der Landeshauptstadt Schwerin gibt es derzeit noch kein Beratungs-Angebot für Täter.

In Schwerin gibt es nach Angaben des Berichts der Gleichstellungsbeauftragten kein derartiges Angebot. In dem Bericht wird dies wie folgt beschrieben:
„Ein wichtiger Beitrag zum Opferschutz und zur Prävention von Gewalt bildet die aktive Arbeit mit Tätern mit dem Ziel der nachhaltigen Beendigung von gewalttätigem Verhalten. Damit trägt die Arbeit mit Tätern wesentlich zum Schutz von Frauen bei, die von Gewalt betroffen sind. (…) Aktuell wird in der Landeshauptstadt Schwerin keine Täterberatung angeboten. Hier besteht somit Handlungsbedarf. Eine Inverantwortungnahme der tatverdächtigen Person ist andernfalls nahezu unmöglich.„
Viel zu tun in Schwerin
Der Bericht der Gleichstellungsbeauftragten zeigt Fehler auf. Auf diese muss hingewiesen werden. Doch neben den zu kritisierenden Punkten gibt es natürlich auch funktionierende Punkte, die benannt werden. Um den Anforderungen der Istanbul-Konvention gerecht zu werden, muss in Schwerin aber noch eine Menge passieren. Dass aufgrund von Barrieren Menschen wichtige Hilfsangebote vorenthalten bleiben, ist ein Zustand, der nicht akzeptiert werden muss. Hier ist die Politik gefragt, schnellstmöglich zu handeln.
Der Bericht
Hier kann der Bericht der Gleichstellungsbeauftragen eingesehen werden:
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Hinweis:
Erste Hilfestellungen bei Betroffenen von häuslicher Gewalt gibt es unter anderem hier, wenn die Beratungsstelle nicht gerade überfordert ist. https://www.awo-schwerin.de/fachbereiche/beratung-erziehung-lebensbewaeltigung/schutz-und-kriesendienste/interventionsstelle-gegen-haeusliche-gewalt-und-stalking-mit-kinder-und-jugendberatung


















