(stm) Auf der kommenden Sitzung der Stadtvertretung steht ein Antrag auf der Tagesordnung. Schwerin soll sich der Initiative „Sichere Häfen“ anschließen. Im Punkt drei des Beschlussvorschlages heißt es: „Die Stadtvertretung würdigt die wichtigen Menschenleben rettenden Aktivitäten der Aktiven auf der Schweriner Mare*Go.“

Doch worum handelt es sich bei der Mare*Go, die im Mittelmeer Menschen vor dem Ertrinken rettet, und was steckt dahinter? Wir haben bei den Verantwortlichen, bei „Zusammenland“ angefragt und von Marie Becker Antworten erhalten.


Guten Tag Frau Becker,

Wie kam es zur Entscheidung, das Schiff MARE*GO für Seenotrettungseinsätze zu nutzen, und welche Rolle spielt dabei der Standort Schwerin?

Das Seenotrettungsschiff MARE*GO ist schon seit 9 Jahren als Schiff der Zivilen Seenotrettung im Mittelmeer unterwegs. Zuerst als SEA-WATCH und später als MARE LIBERUM. Der dazugehörige Verein wurde in Griechenland kriminalisiert, sodass die Mitglieder beschlossen hatten, dass Schiff einem anderen guten Zweck zu übergeben. Neben vier anderen Organisationen, hat die Zusammenland gemeinnützige UG, einen Antrag geschrieben, um dieses Schiff weiter im Mittelmeer halten zu können. Zusammenland, mit Sitz in Schwerin, hat den Zuschlag erhalten und kaufte im Dezember 2022 das Schiff für einen symbolischen Euro. Schwerin ist dabei immer unser sicherer Hafen gewesen, wir wissen um unsere Hausgemeinschaft Komplex und die Menschen dort, die uns auf vielen Wegen unterstützen und beistehen.

Welche spezifischen Herausforderungen und Erfahrungen hat das Team von MARE*GO seit der Inbetriebnahme des Schiffes erlebt?

Es fing im Januar 2023 an mit der Modernisierung und Inbetriebnahme des Schiffes. Da es längere Zeit nicht den Hafen auf Lesbos verlassen durfte, mussten wir einiges aufräumen und neu kaufen. Auf Malta ab Februar 2023 gingen wir für über drei Monate in die Werft. Dort arbeiteten wir am Entrosten und Lackieren, bauten Zimmer um und modernisierten. Das war eine sehr intensive Zeit, in der wir mit über 30 Ehrenamtlichen und mit 80.000 € einiges an Ressourcen investierten, damit das Schiff wieder bestmöglich für den Einsatz im Mittelmeer vorbereitet ist. Auch mehrere Menschen aus Schwerin haben sich beteiligt und sowohl vor Ort in der Werft als auch in Schwerin die MARE*GO unterstützt! Die nächste Herausforderung war das Crewing von weiteren Ehrenamtlichen, die mit uns 2023 sechs Einsätze gefahren sind und in 2024 acht Einsätze fahren werden. Hier die passenden Menschen zu finden, die sowohl professionell tätig sein können und darüber hinaus ihren Urlaub opfern ist gar nicht so leicht.

Wir sind da, wo Politik eine Lücke hinterlässt.

Daneben müssen wir die nationale und internationale Politik im Auge behalten. Die postfaschistische Regierung in Italien macht es der zivilen Seenotrettung sehr schwer, wobei wir uns nur an das internationale Seerecht und die humanitären Pflichten halten. Die italienische Regierung schottet ab, kriminalisiert und bestraft ehrenamtliches Engagement und Mitmenschlichkeit. Aber auch die deutsche Regierung zeigt immer weniger Willen, Menschenrechte und Menschenwürde im Blick zu behalten.

Im Herbst und Winter 2023 und Januar 2024 wurden durch die sog. GEAS Reform (Asylverschärfungen) auf EU-Ebene, durch Zeitungstitel von Scholz, Faeser und vielen anderen Politiker:innen klar gezeigt, dass sie nicht zur Mitmenschlichkeit stehen, da Organisationen und Einzelpersonen, die in welcher Form auch immer Menschen auf der Flucht unterstützen, kriminalisieren wollten. Und das fängt schon bei dem Wasser an, dass gegeben wird und kann mit Haftstrafe versehen werden. Sowohl EU, als auch die einzelnen Staaten zeigen sich gerade nicht von ihrer menschlichen Seite. Wir die handeln, statt zu zu sehen, werden bedroht, ggf. kriminalisiert oder das Schiff festgesetzt. Wir sind da, wo Politik eine Lücke hinterlässt. Schließlich ist es auch privat sehr herausfordernd. Zusammenland gUG, die die MARE*GO betreibt, besteht aus zwei Personen. Auch haben wir Glück und viele Unterstützer:innen, aber letztendlich sind wir nur zwei Menschen, die alle Entscheidungen treffen und Verantwortungen tragen müssen. Dadurch sind wir viel unterwegs und am Schiff, sodass sowohl Freund:innen als auch Familie zurück stecken müssen. Wir sind dankbar für das Verständnis und freuen uns auf Zeiten, in denen das nicht mehr nötig sein muss.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Behörden im Rahmen der Seenotrettung aus?

Viele NGOs, die im Mittelmeer aktiv sind, arbeiten zusammen. Das sind Organisationen, die selbst Seenotrettungsschiffe haben, aber auch Flugzeuge und anderen Initiativen, die mit people on the move arbeiten und untertsützten. Es gibt eigene Kommunikationskanäle, mit sehr effektiven Absprachen und guten Ergebnissen. Auch die italienische Küstenwache ist zum Teil kooperativ. In Licata entwickelt sich gerade ein solidarischer Hafen, 3 Organisationen starten von hier aus in die Einsatzzone. Das heißt auch: Gegenseitige Unterstützung, Austausch und kollegiale Beratung!

Welche langfristigen Ziele verfolgt Zusammenland gUG mit dem Einsatz von MARE*GO?

Wir haben keine langfristigen Pläne. In einer idealen Welt, würden sich Menschen nicht auf den Weg machen, ihre Heimat, Familie und Freund:innen verlassen. Aber so lange die Welt noch von Ungleichheiten und Macht dominiert ist, wird es das immer wieder geben. Auch verstärkt der Klimawandel die Migration und es wäre vermessen zu glauben, dass sich das durch Abschottung lösen lässt.

Um realistisch zu bleiben, sehen wir jedoch, dass es das Schiff MARE*GO als ziviles Seenotrettungsschiff im Mittelmeer weiterhin braucht und wir werden dafür sorgen, dass es dort bleibt, solange es gebraucht wird. Wir haben das auf unserer Webseite noch mal eindeutig formuliert: „Zivile Seenotrettung ist was ganz Konservatives und überaus Menschliches. Alle Seefahrer:innen wissen das und wollen auch selbst aus Seenot gerettet werden. Die Vorstellung, auf einem nicht seetauglichen Boot unterwegs zu sein, ggf. zu kentern und das eigene Leben zu verlieren, macht uns sprachlos. Auch Flüchtende macht das sprachlos. Aber es ist aus ihrer Sicht der bessere Weg, als all das, was sie hinter sich haben. Wir respektieren ihre Entscheidungen.

Wir wissen, dass mit der zivilen Seenotrettung Probleme nicht nachhaltig gelöst werden. Wir handeln nach unserer Menschenpflicht und in Anbetracht von Menschenwürde und gemäß unseren Privilegien in der Lebenslotterie. Wir urteilen nicht, wir handeln. Wir sind traurig, dass Menschen den Weg übers Mittelmeer als letzte Lösung für ein menschenwürdiges Leben sehen. Wir sind wütend, weil Menschen mit Macht in Europa scheinbar kein Interesse an dieser Situation haben und wegschauen.“ (https://mare-go.de)

Wie können Einzelpersonen oder Organisationen aus Schwerin und Umgebung das Projekt MARE*GO unterstützen?

Wir sehen viele Möglichkeiten, uns zu unterstützen. Das fängt bei Aufmerksamkeit an, wie z.B. uns in den sozialen Medien zu folgen, zu liken und zu kommentieren. X (ehemals Twitter) @marego_vessel * Instagram, Facebook und Patreon @zusammenland

Wir haben Unterstützer, die für uns Geld sammeln, z.B. mit Pfand als Spende oder einer Geburtstagssammel-Aktion. Geld ist für uns wirklich ein wichtiges Thema, da wir keinerlei staatliche Unterstützung erhalten und als kleine Organisation sowohl Aufmerksamkeit und Spenden brauchen, um die Einsätze zu finanzieren. Ein Einsatz in 2024 wird uns ca. 13.000 € kosten. Dabei verdienen wir kein Geld, auch wir zwei machen das zu 100 % ehrenamtlich! Aber es ist noch viel mehr möglich, wir haben Kleinigkeiten in unseren Webshop, mit den Gewinnen aus dem Verkauf finanzieren wir ebenfalls das Schiff. Wir kommen gerne vorbei und halten einen kleinen Vortrag zur Seenotrettung und unseren Einsätzen. Auch können wir immer wieder Unterstützung handwerklicher Art gebrauchen, im Moment suchen wir dringend ein:e Elektriker:in, die uns in der Werft unterstützt.

Betrachten wir das große Ganze, dann freuen wir uns, wenn nicht nur die MARE*GO Unterstützung erfährt, sondern die Idee von Menschlichkeit und Miteinander wieder mehr Aufmerksamkeit erhält. Wir sind erschrocken über die Entwicklungen in einer Demokratie. Da kursieren gerade Ideen, die menschenfeindlich sind und laut ausgesprochen werden, und zu wenige Menschen halten dagegen. Die Unterstützung auf dieser Ebene wäre großartig! Vielleicht haben ja auch Menschen aus Schwerin und Umgebung Lust, als breites zivilgesellschaftliches Bündnis sich der Initiative Seebrücke anzuschließen. Die Stadt der sieben Seen könnte sich hier als demokratische und vielfältige Landeshauptstadt zeigen und beweisen.

Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.


Hier geht es zum Online-Shop, mit dem die Aktiven der Mare*Go unterstützt werden können.


Vor einem guten Monat haben die Initiatoren auf ihrem YouTube Kanal ein Interview mit dem Leyana Magazin geführt, auf das wir hier gerne verlinken.

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