(stm/KOMMENTAR / Meinung)
Am Freitag hat TV:Schwerin ein Interview mit dem Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier hochgeladen. Das News-Portal www.schwerin-lokal.de hat daraufhin Ausschnitte des Interviews aufgearbeitet und einen Beitrag dazu veröffentlicht. Soweit, so gut. Es ist zunächst eine wirklich gute Sache, wenn sich der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt den Fragen der regionalen Medien stellt.
Hinweis: Dieser Kommentar, diese Meinung ist sehr lang und ausführlich. Uns ist bewusst dass dies nicht für jeden was ist, aber zwischen den Feiertagen kann man dies durchaus mal machen. Für wen das nix ist, einfach weiterscrollen ;-) Allen anderen, viel Vergnügen bei dieser kritischen Analyse.

Viel gesagt, wenig kritisiert
Was bei dem schriftlichen Interview von http://www.schwerin-lokal.de und auch im TV-Interview auffällt, ist der doch recht kritiklose Umgang mit den von OB Badenschier gegebenen Antworten und Aussagen. Deswegen haben wir von http://www.schwerin.news das Interview in voller Länge angeschaut und dabei einen kritischen und hinterfragenden Blickwinkel eingenommen. Wir haben ebenfalls auf die Zwischentöne geachtet und analysiert, was hinter den Aussagen des OB steckt, bzw stecken könnte. Denn so manches, was dort gesagt wurde, bedeutet mehr, als man im ersten Moment vermuten würde. Wir haben das Interview in etwa vier gleich große Blöcke geteilt.
Am besten widerstandslos einfach alles durchwinken?
Gleich zu Beginn stellt der Oberbürgermeister das Kommunalwahlergebnis in den Blick. Er sagt dort nichts anderes, als dass er sich eine Stadtvertretung wünscht, die die Stadtverwaltung mehrheitlich unterstützt. Die drei Beigeordneten und sein OB-Amt haben mit ihrer jeweiligen politischen Struktur im Rücken rein rechnerisch eine Mehrheit. Was der Oberbürgermeister hier nicht so sehr im Blick hat, ist, dass eine lebendige kommunale Demokratie sachorientiert arbeiten muss. Die gewählten Mitglieder der Stadtvertretung sind einzig sich selbst und den Regeln der Kommunalverfassung verpflichtet. Parteipolitisch getragene Kommunalpolitik, die stets im Interesse der Verwaltung agiert und die Pläne der Beigeordneten und des OBs einfach durchwinkt, würde ihr Ziel verfehlen. Denn es sind doch oft gerade diejenigen die gegen die Verwaltungsansicht stimmen oder diese kritisieren, diejenigen die oft bei bestimmten Punkten ihren Job, ihr Mandat und somit die Pflicht – die Verwaltung zu überwachen – am ernstesten nehmen.
„Konsolidierium“ – eine ins Blut übergegangene Selbstgeißelung zu Lasten einer ganzen Generation?
Dass Schwerin den Haushalt nicht beschlossen hat, wird als negativ dargestellt. Dies verwundert. Denn es scheint wieder einmal nur darum zu gehen, den Rotstift konsequent anzusetzen, die Gebühren und Abgaben zu erhöhen, soziale Angebote zu streichen – koste es an Lebensqualität der Schwerinerinnen und Schweriner, was es wolle. Hauptsache, man erfüllt die Vorgaben als „Konsolidierungskommune“.
Hier muss man ehrlich hinterfragen: Zehn Jahre lang hat Schwerin bereits kontinuierlich Steuern, Abgaben und Gebühren erhöht, soziale Ausgaben reduziert und Investitionen auf Kosten von Nachhaltigkeit, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit zurückgestellt, indem bei Ausschreibungen immer der günstigste Anbieter und nicht der sozial, ökologisch und nachhaltigste gewählt wurde. Es wurde Eigentum der Stadt verkauft, günstiger, bezahlbarer Wohnraum abgerissen und vieles mehr.
An dieser Stelle hat OB Badenschier vergessen, dass Schwerin seit zehn Jahren seinen Bürgerinnen und Bürgern sehr viel abverlangt hat. Statt dies zu erkennen, wünscht er sich, dass der bisherige Kurs weiterverfolgt wird. Der OB merkt korrekterweise an, dass Schwerin in den letzten zehn Jahren die Schulden von 160 auf 80 Millionen Euro reduziert hat. Schön und gut, aber wenn man nun annimmt, dass es weitere zehn Jahre dauert, bis die Schulden auf null sind, bedeutet das für eine Generation an Schwerinerinnen und Schwerinern, dass sie nichts anderes kennt als steigende Abgaben und Gebühren, Steuererhöhungen und die Reduzierung des sozialen Angebots der Stadt.
Ist dies das Gefühl, mit dem eine ganze Generation in Schwerin aufwachsen soll? Oder wäre es nicht an der Zeit, gegenüber der Landesregierung eine Aussetzung des Konsolidierungswahnsinns einzufordern, um die sozialen und zwingend notwendigen Investitionen in Schwerin wieder aufnehmen zu können? Was ist wichtiger – irgendwann in zehn oder mehr Jahren Einrichtungen wie das Tierheim auskömmlich zu finanzieren oder hinzunehmen, dass das Tierheim seit Jahren an Überlastung leidet? Erst in zehn oder mehr Jahren wieder günstigen Wohnraum zu bauen oder schon heute günstigen Wohnraum zu erhalten?
Bei verschuldeten Kommunen regelt die Kommunalverfassung, was zu tun ist. Dass die Stadt hier in einer Art vorauseilendem Gehorsam seit zehn Jahren eine Selbstgeißelung vollzieht, grenzt schon an „neoliberalen Masochismus“.
Panik um Ataraxia
Der Oberbürgermeister ließ es sich nicht nehmen, auf die Musikschule Ataraxia aufmerksam zu machen. Dort sei es nicht möglich, die Gelder ohne einen beschlossenen, genehmigten und veröffentlichten Haushalt auszuzahlen. Was der OB an dieser Stelle wohl bewusst oder unbewusst auslässt, ist, dass die Stadt sich bereits vor einigen Jahren nach einem Stadtvertreterbeschluss entschieden hat, Mehrjahresverträge abzuschließen. Und an diese Verträge ist die Stadt Schwerin auch bei Ataraxia gebunden.
Ob die Stadt oder das Land am Ende steigende Kosten – im Vergleich zum Vorjahr – tragen muss oder ob Ataraxia im schlimmsten Fall die Gebühren anhebt, ist aktuell noch gar nicht geklärt.
Bei den steigenden Kosten, und das erwähnt OB Badenschier im Interview nicht, geht es übrigens um das sogenannte Herrenberg-Urteil. Dabei handelt es sich um eine Entscheidung des Bundessozialgerichts, die festlegt, dass Honorarkräfte, die in die organisatorischen Abläufe einer Einrichtung eingebunden sind, als scheinselbstständig gelten und daher sozialversicherungspflichtig angestellt werden müssten. Für Musikschulen wie Ataraxia würde dies deutlich höhere Kosten durch die verpflichtende Umstellung der Beschäftigungsverhältnisse bedeuten, was die finanzielle Lage erheblich belasten könnte. Für Ataraxia würde das etwa 200.000 Euro mehr ausmachen – allein durch die Übernahme der Honorarkräfte in Festanstellung.
Der nahende Bundestagswahlkampf
Nach Aussagen des Oberbürgermeisters sei es durchaus verständlich, dass man mit Blick auf die Bundestagswahl versucht, um Wählerstimmen zu ringen. Die Frage sei, womit man das am besten schaffe. Der OB wünscht sich hier einen sachlichen Umgang mit Themen, um die Stadt voranzubringen. Was der OB an dieser Stelle im Umkehrschluss meint, ist, dass ein Nein zu den Unmengen an Gebühren- und Steuererhöhungen sowie ein Nein zum Haushalt nicht sachlich sei.
Doch die Kritik am Haushalt war nicht unbegründet. So gab es knapp 30 Änderungswünsche der Fraktionen, Ortsbeiräte und so weiter, die von der Verwaltung im Vorfeld nahezu in Gänze schlicht abgelehnt wurden. Die Masse an Gebührenerhöhungen – ob nun Abfallgebühren, Hundesteuererhöhung, Kleingartenpacht, Bettensteuererhöhung und vieles mehr – war einfach zu viel.
Dass dies auf Ablehnung stoßen würde, hätte der Verwaltung klar sein müssen. Die Stadtverwaltung wird nun spätestens zur März-Sitzung wieder einen Haushaltsplanentwurf vorlegen müssen. Absehbar ist, dass dieser im Bundestagswahlkampf thematisiert werden wird. Man darf gespannt darauf schauen, wie der Oberbürgermeister (SPD) den neuen Haushalt gestaltet und wie viele SPD-Positionen sich dort passend zum anstehenden Bundestagswahlkampf-Battle wiederfinden lassen werden. Wird es ein SPD-Wahlkampf-Haushalt, oder einer, der die Schwerinerinnen und Schweriner nicht übermäßig belastet? Denn diesen Auftrag hat der OB durch die Ablehnung des Haushaltsplans von der Mehrheit der Stadtvertretung erhalten.
Unterbringung geflüchteter Menschen in Schwerin – Vorschläge, die nicht ernst gemeint waren
Im Interview ging es natürlich auch um die Wahl eines geeigneten Standorts für die Unterbringung von 150 bis 200 geflüchteten Menschen. Der OB Badenschier führte aus, dass es nicht im Zuständigkeitsbereich der Stadt liege, ob es in Schwerin weitere Plätze für Geflüchtete gibt, aber die Stadt durchaus ein Mitspracherecht habe, wo die Menschen untergebracht werden.
Paulshöhe als Standort war nicht ernst gemeint
In seinen Ausführungen zu diesem Thema ließ der Oberbürgermeister interessante Worte fallen. So sagte er: „Also, ganz ehrlich, niemand auch hier in der Stadtverwaltung – glaubt natürlich keiner, dass man Tinyhäuser in Paulshöhe baut…“ Eine bemerkenswerte Aussage. Hier muss man doch sofort die Frage stellen, weswegen der Vorschlag dann überhaupt gemacht wurde.
Wenn „ganz ehrlich niemand… keiner… Tinyhäuser“ auf Paulshöhe in Betracht zieht, weswegen wurde dies dann mit steuerfinanzierten Angestellten des Stadthauses und mit wertvoller Arbeitszeit in der ohnehin überlasteten Verwaltung überhaupt geprüft? Ob man dadurch tatsächlich aufzeigen wollte, dass man „alles“ in Betracht gezogen hat, oder ob hier einfach nur ein Standort gegen den anderen ausgespielt werden sollte, um am Ende eine Mehrheit dazu zu bringen, das geringste Übel – oder das schwächste Glied der Kette, in diesem Fall den Standort – das Sozialviertel Krebsförden – durchzusetzen, lässt sich nur vermuten. Die Aussage, dass niemand das ernsthaft erwogen habe, man dennoch geprüft habe, hat dadurch einen sehr bitteren Beigeschmack.
Wenn WGS nichts hinbekommt – dann Ausschreibung an Spekulanten?
Da die Vorschläge für die Standorte Krebsförden und Neumühle abgelehnt wurden, muss der Oberbürgermeister nun nach Wegen suchen, wie er spätestens 2026 die Unterkunft in Schwerin organisiert bekommt. Nach seinen Aussagen wäre in dem Fall, dass die WGS (Wohnungsbaugesellschaft Schwerin) keinen guten Ansatz liefert, eine Ausschreibung der wahrscheinlichste Schritt. Dann, so der OB, habe die Stadt den „Prozess nicht in der Hand“. Es könne dann sein, dass „eine oder andere Träger, überregional agierende Firmen“ die Unterbringung in die Hand nehmen.
An dieser Stelle zeigt sich wieder das „Konsolidierium“. Denn natürlich hat die Stadt Schwerin es in der Hand, auch bei einer Ausschreibung den besten und passendsten Anbieter auszuwählen. Der von OB Badenschier am liebsten noch zehn Jahre oder mehr fortzuführende „Konsolidierungskurs“ würde hier greifen. Dadurch würde die Stadt nicht den besten, sozialsten und vernünftigsten Anbieter nehmen, sondern (müsste) den günstigsten auswählen.
Kurz gesagt: Der bereits oben als „neoliberalen Masochismus“ bezeichnete vorauseilende Gehorsam der Stadt, den der Oberbürgermeister so sehr weiterführen will – Steuern und Abgaben rauf, Soziales runter – wird als unvermeidbare Notlage dargestellt, die am Ende privaten Investoren die Tür öffnet. Hier müsste dem Oberbürgermeister eigentlich einfallen, dass er einem bundesweiten Netzwerk beigetreten ist, das eine bessere Finanzierung der Städte durch Land und Bund einfordert. Statt die aktuelle Lage zu nutzen, um den Druck gegen die strukturelle Unterfinanzierung an diesem Beispiel konkret anzugehen, ordnet er sich dem Zwang der Systematik unter. Schade, eine verpasste Chance. Hier kann der von der Stadt Schwerin unterstützte Apell, der von über 40 Städten unterstützt wird, übrigens als PDF eingesehen werden: https://www.schwerin.de/export/sites/default/.galleries/Dokumente/Verwaltung/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-2021/Maerz/Positionspapier-Berlin-Maerz-2022.pdf
Zeichen setzen – „nicht möglich“?
Der Oberbürgermeister antwortete auf die Frage von Herrn Böhm, dass es rechtlich nicht möglich sei, über dieses Thema ein Zeichen im Sinne von „Halt, Stopp!“ zu setzen. Zwar habe er sich bereits an das Land gewandt und erklärt, dass Schwerin durch die Erstaufnahmeeinrichtung Stern Buchholz bereits viele Menschen mit Migrationshintergrund im Stadtbild und auf dem Marienplatz habe. Das Innenministerium habe dies bisher nicht positiv beantwortet.
Was der Oberbürgermeister hier nicht sagt, ist, dass der im Interview angesprochene 10-Prozent-Abschlag nach Ansicht einiger als „willkürlich“ gelten könnte. An dieser Stelle wird das Interview leider nicht vertieft. Sehr gerne hätte man doch gehört, wie der Oberbürgermeister hier weiter verfahren will. Könnte er dagegen gerichtlich vorgehen? Könnte man eine Anerkennung der „Lastung“ von Menschen aus Stern Buchholz in Schwerin als Kontingent beantragen? Wir werden es zumindest in diesem Interview nicht erfahren.
Marienplatz – das Märchen um den „gefährlichsten Platz“ wird weitergesponnen
Selbstverständlich wurde auch über den Marienplatz gesprochen. Den vermeintlich gefährlichsten Platz in Mecklenburg-Vorpommern. Und von einer erhöhten Polizeipräsenz, sowie Überwachung.
Dazu folgender Gedankengang:
Kennen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, den sogenannten „Surveillance Bias“? Der „Surveillance Bias“ bezeichnet eine Verzerrung in einer Datenerhebung oder Analyse, die dadurch entsteht, dass bestimmte Gruppen oder Ereignisse stärker oder häufiger beobachtet werden als andere. Dieser Bias tritt auf, wenn eine Population nicht gleichmäßig überwacht wird, was dazu führt, dass manche Gesundheitszustände, Verhaltensweisen oder andere Faktoren überrepräsentiert erscheinen.
Und dieser Bias (Bias steht für Vorurteil) ist an dem am stärksten überwachten Platz der Stadt Schwerin eindeutig der Fall. Stellen Sie sich vor, man würde Ihren Straßenblock, Ihre Häuserreihe innen und außen ganz genau überwachen. Man würde viel mehr entdecken: zu schnell ausparkende Fahrzeuge, ein Streit mit den Nachbarn, ein Hund ohne Leine, der Nachbar, der nach zu viel Bier seine Frau schlägt, Familienmitglieder, die Filme auf illegalen Plattformen schauen – eben alles, was so in Ihrer Straße denkbar wäre, würde in Echtzeit von der Polizei beobachtet und aufgezeichnet. Und alles würde von der Polizei zur Anzeige gebracht werden. Was meinen Sie, wie schnell würde Ihre Straße zur kriminellsten Straße der Stadt werden? In den ersten Jahren, bis die „Schere im Kopf“ sie zu einem stattstreuen, aufrechten, willenlosen Bürger gemacht hat, würde die Zahl steigen. Trotz Überwachung.
Auf dem Marienplatz wurden in der Vergangenheit tatsächlich straftaten aufgezeichnet, bei denen weder ein Täter noch ein Geschädigter ausfindig gemacht werden konnte. Die Vorfälle wurden dennoch zur Anzeige gebracht und haben die Zahl der Strafteten zusätzlich erhöht.
Lesen Sie dazu gerne:
Hinweis: Die ist wohl der längste Kommentarbeitrag der jemals auf http://www.schwerin.news erschienen ist. Und das waren nur die ersten 10 Minuten des insgesamt 39 Minuten dauernden Interview. Kommentieren Sie gerne unter diesem Beitrag, was Sie zu den einzelnen Themen sagen. Lassen Sie uns diskutieren. Teil 2 von 4 folgt.
An dieser Stelle wird Teil 2 verlinkt.
Hier das Interview in voller Länge:
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