(stm) Die Planungen für eine zweite Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Geflüchtete in Schwerin nehmen konkrete Formen an. Nachdem die Stadtvertretung keine Einigung über einen geeigneten Standort erzielen konnte, brachte ein Schriftwechsel zwischen Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier und der Wohnungsgesellschaft Schwerin mbH (WGS) Bewegung in die Sache. Der Schriftwechsel hatte die AfD dazu veranlasst, eine Sondersitzung der Stadtvertretung zu fordern, bei der die Partei einen Antrag stellte, die WGS bei der Schaffung von Unterkünften außen vor zu lassen. Dieser Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Doch was stand in dem Schriftwechsel, der sowohl die AfD zur Sondersitzung trieb als auch die Standortfrage für die neuen Plätze zur Unterbringung von Geflüchteten zu klären scheint? Und worin begründet sich die Kritik am neuen Standort?
Schriftwechsel zwischen Oberbürgermeister und WGS
Dr. Badenschier betonte in seinem Schreiben vom 10. Dezember 2024 die Dringlichkeit, zusätzliche Kapazitäten für bis zu 180 Personen zu schaffen. Da die Stadtvertretung keine Entscheidung getroffen hatte, erklärte der Oberbürgermeister, selbst eine Entscheidung treffen zu müssen, und bat die WGS um die Prüfung geeigneter Immobilien.
Am 16. Dezember 2024 reagierte die WGS mit einem klaren Vorschlag: Der Standort Hamburger Allee 194–200 wurde als wirtschaftlichste Lösung identifiziert. Geplant sind 40 Wohneinheiten mit einer Gesamtfläche von rund 2.105 Quadratmetern. Die Fertigstellung soll bis Mai 2026 erfolgen, bei Investitionskosten von etwa 4,34 Millionen Euro. Die avisierte Nettokaltmiete liegt bei 23 Euro pro Quadratmeter.
Der neue Standort – der alte Standort plus x
Der neue Standort soll demnach eine Erweiterung und ein Ausbau der Unterkunft in der Hamburger Allee werden. Dies kündigte der Oberbürgermeister auch in einem Video über seine Social-Media-Kanäle (LINK) an. Dort sagte OB Badenschier:
„Es wurde der WGS nicht verboten, sich auf diesem Feld zu engagieren. Es ist der Zweck unserer kommunalen Wohnungsgesellschaft, auch Gemeinschaftsunterkünfte zu ermöglichen, wie in einem Teil ihres Gesellschaftervertrags vorgesehen. Deswegen werde ich das Angebot der WGS aller Voraussicht nach annehmen, die bestehende Gemeinschaftsunterkunft in der Hamburger Allee zu erweitern und dort nicht nur 200, sondern bis zu 350 Plätze zu schaffen.“
Kritik an der Standortwahl durch SPD-Stadtvertreterin
Der Plan des Oberbürgermeisters, am Standort Hamburger Allee die Zahl der Unterzubringenden zu erhöhen, stößt derweil auf heftige Kritik. Zum einen natürlich erwartungsgemäß und ohne Lösungsansatz durch die AfD. Zum anderen werden immer mehr Stimmen laut, die auf die Segregation und die bereits angespannte Situation im Mueßer Holz aufmerksam machen.
So meldete sich die Politikerin Mandy Pfeiffer zu Wort und kritisierte die Pläne, die Unterkunft in der Hamburger Allee aufs Schärfste zu erweitern. In einer Rede auf der Sondersitzung teilte sie mit: „Wir stehen für die Einhaltung der Gesetze, deswegen muss es eine zweite Unterkunft geben.“ Weiter sagte sie: „Meine Fraktion hatte versucht, einen Antrag zu formulieren, der ausschließt, dass dieser zweite Standort in einem Gebiet entsteht, wo die Segregation bereits hoch ist.“
Autor der Segregationsstudie „Stadtteil aufgegeben …“
In diesem Zusammenhang habe sie auch nochmals Kontakt zu Professor Marcel Helbig gehabt, der maßgeblich an der Segregationsstudie beteiligt war, laut der Schwerin Spitzenreiter in Deutschland bei Segregation ist. Pfeiffer zitierte dann Professor Helbig:
„Vor allem das Mueßer Holz sticht bei vielen Indikatoren negativ hervor. Eine Flüchtlingsunterkunft in diesem Bereich zu setzen, wäre aus meiner Sicht eine Fortführung der Politik der letzten Jahre, aber auch ein weiteres Zeichen dafür, dass man diesen Stadtteil aufgegeben hat. Ich kenne noch Daten aus anderen großen Städten im Osten. Es gibt mit Halle-Neustadt Süd nur noch einen Stadtteil in allen ostdeutschen Großstädten, in dem der Anstieg von Ausländern – natürlich vor allem Geflüchteten – das erreichte Niveau so hoch ist wie im Mueßer Holz.“ (Die Studie ist ebenfalls unten verlinkt und einsehbar)
www.schwerin.news wird das Thema weiter beobachten.
Quellen:
Transkript Schriftverkehr OB und WGS: (siehe unten)
Video Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier:
https://www.facebook.com/reel/614716324406723
Studie Segregation, Helbig: (unten zusätzlich als PDF zum Download)
Rede Stadtvertreterin Mandy Pfeiffer (Bei 01:00:10) in der Aufzeichnung der Sondersitzung):
Schriftverkehr zwischen OB Dr. Rico Badenschier und der WGS zur Errichtung einer zweiten Gemeinschaftsunterkunft
Schreiben des Oberbürgermeisters vom 10. Dezember 2024
Errichtung einer zweiten Gemeinschaftsunterkunft
Sehr geehrter Herr Meier-Hedrich,
seit langer Zeit beschäftigen wir uns intensiv mit der Errichtung einer zweiten Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Schwerin. Nach landesgesetzlichen Vorgaben sind wir dazu verpflichtet, die Kapazität um zusätzliche 150 bis maximal 180 Plätze zu erhöhen. Dabei haben wir uns in den vergangenen Wochen und Monaten ausführlich mit potenziellen Standorten einer neuen GU auseinandergesetzt und diese unter verschiedenen Gesichtspunkten (Infrastruktur, Segregation etc.) einer Bewertung unterzogen.
Weder der von der Verwaltung favorisierte Standort in der Benno-Volkner-Straße noch andere Standorte konnten in der gestrigen Sitzung der Stadtvertretung eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Die Standortfrage der zweiten GU wurde somit durch die Stadtvertretung nicht beantwortet. Da wir uns jedoch bereits im zeitlichen Verzug befinden und im übertragenen Wirkungskreis zum Handeln verpflichtet sind, werde ich als Oberbürgermeister zeitnah die Errichtung einer zweiten GU entscheiden müssen.
Wahrscheinlichstes Vorgehen ist dabei die europäische Ausschreibung sowohl der Vermietungs- als auch der Betreuungsleistungen. Bevor wir jedoch diesen Schritt gehen, möchte ich einen letzten Versuch unternehmen, die Leistungserbringung auf diesem Feld in kommunaler Hand zu belassen. Aus diesem Grund bitte ich Sie zu prüfen, ob die WGS ein geeignetes Objekt für die Einrichtung einer GU in o.g. Größenordnung zur Verfügung stellen kann. Bitte beachten Sie, dass ggf. entsprechende Gremienbeschlüsse zur Herrichtung notwendig wären.
Die Dringlichkeit der Lage erfordert eine zügige Abstimmung, weshalb wir Sie bitten, uns bis zum 16.12.2024 eine erste Rückmeldung zu geben. Wir stehen Ihnen für eine Besprechung oder Rückfragen selbstverständlich gerne zur Verfügung. Wir danken Ihnen bereits im Voraus für Ihre Unterstützung in dieser wichtigen Angelegenheit und sind zuversichtlich, gemeinsam eine tragfähige Lösung zu finden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rico Badenschier Oberbürgermeister
Antwortschreiben der WGS vom 16. Dezember 2024
Sehr geehrter Herr Dr. Badenschier,
auf Grundlage Ihres Schreibens vom 10. Dezember 2024 hat die WGS verschiedene Standorte zur Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft untersucht. Im Ergebnis der Prüfung stellt der Standort Hamburger Allee 194–200 das wirtschaftlichste Objekt für die Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft aus Sicht der WGS dar. Dieses Ergebnis wurde in einer Sondersitzung des Aufsichtsrates am 13. Dezember 2024 mit den Aufsichtsratsmitgliedern diskutiert. Letztlich ist der Aufsichtsrat mehrheitlich dem Vorschlag der Geschäftsführung zur Unterbreitung eines Angebots an die Landeshauptstadt Schwerin zur Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft am Standort Hamburger Allee 194–200 gefolgt. Das entsprechende Beschlussdokument erhalten Sie anbei.
Nunmehr kann die WGS der Landeshauptstadt Schwerin ein Angebot unter folgenden Rahmenbedingungen unterbreiten:
- 40 Wohneinheiten mit ca. 2.105 m² Nutzfläche
- bauliche Fertigstellung bis 05/2026 (in Abhängigkeit der Annahme des Angebots)
- Investitionssumme (2024): ca. 4.336.000 Euro
- avisierter Mietzins auf Grundlage der aktuellen Investitionssumme: 23 Euro/m² (Festsetzung des finalen Mietzinses erfolgt analog dem Standort Hamburger Allee 202–208 mit Fertigstellung der Baumaßnahme)
- Abrechnung der jährlichen Betriebskosten nach Aufwand/Verbrauch
- 10jähriger Mietvertrag zwischen der Landeshauptstadt Schwerin und der WGS mit Beginn der baulichen Fertigstellung
Gemäß dem Beschluss des Aufsichtsrates vom 13. Dezember 2024 bin ich ermächtigt, Ihnen dieses Angebot zu unterbreiten. Eine Beauftragung von Bauleistungen und weitere Verfahrensschritte, bspw. der Abschluss von Darlehensverträgen, werden jedoch erst ausgelöst, wenn eine Bestätigung seitens der Landeshauptstadt Schwerin durch Annahme des Angebotes erfolgt.
Im Rahmen der Diskussion im Aufsichtsratssitzung wurden folgende Punkte aus der Mitte des Aufsichtsrates thematisiert, welche nicht den Bereich der WGS betreffen, die Diskussion beeinflusst haben und im Handlungsbereich der Landeshauptstadt Schwerin liegen:
- Umgang mit dem Beschluss der Stadtvertretung vom 7. November 2022 zur Errichtung einer zweiten Gemeinschaftsunterkunft (Drucksache: 00467/2022/1).
- Standortentscheidung durch den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Schwerin im übertragenen Wirkungskreis im Gegensatz zu den Regelungen des § 22 Kommunalverfassung M-V.
Sollten der Standort und die Rahmenbedingungen zur Errichtung der Gemeinschaftsunterkunft Ihre Zustimmung finden, bitte ich schriftliche Bestätigung des Angebots. Sofern Ihrerseits Aufklärungs- oder Gesprächsbedarf besteht, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüße
WGS – Wohnungsgesellschaft Schwerin mbH
Kristian Meier-Hedrich Geschäftsführer
Studie Segregation, Helbig:















