(stm)
Die Debatte um die Schweriner Lenin-Statue dauert an – und diesmal mit Nachdruck. Ein offener Brief prominenter Bürgerrechtler, Historiker, ehemaliger politischer Häftlinge und Autoren fordert, den Denkmalschutz für die 3,50 Meter hohe Bronze nicht zu akzeptieren. Das Schreiben, datiert auf den 27. Oktober 2025, richtet sich an Landtag, Landesregierung sowie an Stadtvertretung und Oberbürgermeister. Die Botschaft ist unmissverständlich: Kein Denkmalschutz für ein Symbol von Gewalt und Unterdrückung. Stattdessen ein entfremdender Umgang mit der Statue.

Nach Angaben des Landesamts für Kultur und Denkmalpflege wurde die Statue – ein Werk von 1985 – kürzlich unter Schutz gestellt. Die Behörde rechtfertigt das mit dem „hohen historischen Zeugniswert“ und einem „nationalen Alleinstellungsmerkmal“ als Dokument der DDR-Geschichte. Mit anderen Worten: Geschichtsspur statt Ikonenkult. Doch genau diese Argumentation stößt überregional auf Widerspruch und hat eine Kontroverse ausgelöst.
Im offenen Brief wird der Ton schärfer. Lenin, so die Unterzeichner, sei „kein Vorkämpfer der Freiheit“, sondern der Begründer eines totalitären Systems, in dessen Schatten der „Rote Terror“ über Europa zog. Mecklenburg-Vorpommern sei davon nicht unberührt geblieben: In Schwerin selbst verhängten sowjetische Militärtribunale zwischen 1950 und 1953 über 100 Todesurteile – unter den Opfern der liberale Student Arno Esch, 1951 in Moskau hingerichtet. Eine staatliche Ehrung der Lenin-Statue sei für Opfer und Angehörige eine Verhöhnung.
Dass die Denkmalfachleute die Opferperspektive „unzureichend“ berücksichtigen, ist ein weiterer Vorwurf. Seit Jahrzehnten forderten Opferverbände, das Monument nicht staatlich zu ehren – mindestens also keinen Schutzstatus, der ausgerechnet diesem Symbol eine Aura des Bewahrenswerten verleihe.
Offener Brief fordert bewussten Umgang
Die politische Brisanz wird durch die Gegenwart verschärft: Während Russland die Ukraine angreift, Deportationen und Zerstörungen zum Alltag werden, wirke ein Denkmalschutz für Lenin wie ein schiefes Signal – erst recht in Richtung jener Gesellschaften, die ihre sowjetischen Monumente bewusst entfernt haben. Der Brief zitiert den Historiker und Friedenspreisträger Karl Schlögel: Wegsehen vor den Verbrechen der Vergangenheit bereite den Boden für neues Unheil. Wer Lenin unter Schutz stellt, hat diese Mahnung nicht verstanden.
Die Forderung ist klar: „Ehren Sie nicht Lenin, ehren Sie Arno Esch.“ Nicht der Täter, sondern die Opfer – das ist die Leitlinie, die die Unterzeichner der Politik nahelegen. Als konkrete Alternative schlagen sie vor, die Statue nicht zu entsorgen, sondern kritisch zu kontextualisieren: beispielsweise überwuchert oder mit Hinweistafeln im Innenhof des früheren KGB-Gefängnisses am Demmlerplatz – ein Ort, der die Repressionsgeschichte sichtbar macht, statt sie zu verklären.
Das Monument steht in Schwerin mitten im urbanen Alltag, nicht im Museum und nicht im geschichtsdidaktischen Schutzraum. Gerade das befeuert die Auseinandersetzung: Die Bronze wirkt, ob man will oder nicht.
Die Stadt selbst kommunizierte Anfang Oktober, dass sich die Stadtvertretung mit der Aufnahme in die Denkmalliste befasst – formal liegt die Letztentscheidung zwar beim Land, politisch aber ist die Signalwirkung erheblich. Wer hier „nur Technik“ sieht, unterschätzt die Symbolpolitik, die seit jeher an solchen Statuen klebt.
Namhafte Unterzeichnerinnen und Unterzeichner
Der Konflikt ist damit offen ausgetragen: Landesamt und Teile der Stadtspitze verweisen auf den erinnerungspolitischen Wert, Gegner auf die moralische Unzumutbarkeit. Der offene Brief versammelt dabei ein gewichtiges Spektrum: von MEMORIAL Deutschland über den UOKG-Bundesvorsitzenden Dieter Dombrowski bis zu Autorinnen und Zeitzeugen aus dem GULag-System. Das ist keine kleine Nischenallianz, sondern die Stimme jener, die Erinnerung nicht mit Ehren verwechseln wollen.
Am Ende bleibt die Frage, die Schwerin beantworten muss: Will man ein Machtzeichen der Diktatur konservieren – oder den Ort so umdeuten, dass er nicht den Täter, sondern die Opfer ins Zentrum rückt? Denkmalschutz kann beides sein: Schutzschild für bronzene Selbstgewissheiten – oder Hebel für schonungslose Aufklärung. Der Brief plädiert entschlossen für Letzteres.
Von einem Abriss der Statue sind inzwischen auch die Kritiker abgerückt. Stattdessen fordern sie im offenen Brief einen kreativen Umgang. So heißt es abschließend:
„Wir wollen Geschichte nicht entsorgen. Daher regen wir an, die Lenin-Statue zu entfremden, mit Pflanzen überwuchern zu lassen oder mit entsprechenden Hinweistafeln im Innenhof des ehemaligen KGB-Gefängnisses am Demmlerplatz in Schwerin aufzustellen.“
Hier kann der offene Brief eingesehen und heruntergeladen werden:



















