(stm/red)
„Reaktiviert“ ist das Wort, das in der jüngsten Mitteilung des Oberbürgermeisters hängen bleibt. Es klingt nach Neustart – und gleichzeitig nach Stillstand. Denn während Schwerin seit März 2024 offiziell die Umsetzung der Istanbul-Konvention vorantreiben will, wurde kürzlich erneut bestätigt: Der Beschluss ist weiterhin in Bearbeitung. Ein konkretes Maßnahmenprogramm, das der Stadtvertretung zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollte, ist damit nach diesem Stand weiter nicht sichtbar.
Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarats zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt – und zur Bekämpfung häuslicher und sexualisierter Gewalt. Deutschland hat die Konvention ratifiziert; sie gilt hier seit dem 1. Februar 2018. Kern ist ein verbindlicher Rahmen, der Staaten verpflichtet, Gewalt zu verhindern, Betroffene zu schützen und Täter konsequent zu verfolgen – inklusive ausreichender Hilfsangebote wie Beratung, Schutzplätze, Prävention und verlässlicher Kooperation zwischen Behörden, Polizei, Justiz und sozialen Einrichtungen. Ziel ist: Gewalt nicht als „Privatsache“ zu behandeln, sondern als gesellschaftliches Problem, das strukturiert und dauerhaft bekämpft werden muss.
Maßnahmeplan lässt auf sich warten
Dabei war der Auftrag unmissverständlich. Die Stadtvertretung hatte beschlossen, geeignete Maßnahmen zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen – und den Oberbürgermeister beauftragt, ein Maßnahmenprogramm unter Beteiligung von Betroffeneninitiativen sowie Fachakteuren aus Prävention, Gleichstellung, Opferhilfe und Kinderschutz als „Runden Tisch“ auf den Weg zu bringen und anschließend der Stadtvertretung zur Entscheidung vorzulegen.
Was ist seitdem passiert?
Laut den fortlaufenden schriftlichen Mitteilungen gibt es vor allem eines: Termine – und Terminlücken.
Im April 2024 wurde zunächst auf die Vorstellung einer Evaluation des Dritten Landesaktionsplans zur Bekämpfung von häuslicher und sexualisierter Gewalt verwiesen. Diese Evaluation sei Grundlage für Maßnahmen und Bedarfsplanung; zugleich wurde Handlungsbedarf auch für die Hilfenetzstruktur in Schwerin eingeräumt. Die Einberufung einer Arbeitsgruppe wurde angekündigt. Informationen_aus_den_Mitteilun…
Im Juli 2024 folgte dann der konkrete Schritt: Am 29. Mai 2024 habe die AG „Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt“ erstmals getagt. Viele Mitwirkende hätten ähnliche Problemstellungen in der Arbeit mit Hilfesuchenden, die Beteiligung sei „sehr gut“ gewesen. Als nächster Schritt wurde ein zweites Treffen am 11. September 2024 genannt – und als Arbeitsauftrag eine Synopse aus Istanbul-Konvention, der Evaluation des Landesaktionsplans und dem Ist-Stand des Schweriner Hilfenetzes, aus der „die Möglichkeit der Erarbeitung eines Maßnahmeplanes“ entstehen solle. Informationen_aus_den_Mitteilun…
Doch im Januar 2025 heißt es dann: Das zweite Treffen habe 2024 krankheitsbedingt nicht stattfinden können. Ein neuer Termin werde im Februar 2025 einberufen; erneut wird eine Synopse als Grundlage angekündigt. Auch hier steht wieder der Satz: Der Beschluss ist in Bearbeitung.
Und nun, im November 2025, der Neustart: Nach der ersten Sitzung im Mai 2024 sei die Arbeitsgruppe mit Sitzung vom 14. Oktober 2025 „reaktiviert“ worden. Diskutiert worden seien aktuelle Problemstellungen, Gesetzesänderungen sowie Handlungsbedarfe und -möglichkeiten. Wieder ging es um Ideen, weitere Mitwirkende zu gewinnen. Die Arbeitsgruppe soll künftig halbjährlich tagen, die nächste Sitzung ist für Frühjahr 2026 geplant. Auch diesmal endet die Mitteilung mit dem gleichen Befund: Der Beschluss befindet sich in der Bearbeitung.
Streng genommen beschreibt die Stadt damit für einen Zeitraum von über anderthalb Jahren vor allem Prozessarbeit: Eine Arbeitsgruppe, die einmal zusammenkam, dann ausfiel, später wieder gestartet wurde – und ein Maßnahmenplan, der als Ziel formuliert ist, aber bislang nicht als Ergebnis vorliegt.
Dass es dabei nicht nur um guten Willen, sondern auch um Kapazitäten geht, deutete die Verwaltung bereits in ihrer Stellungnahme an: Es gebe nur begrenzte personelle Ressourcen in der kommunalen Kriminalitätsvorbeugung, deshalb sei eine eigenverantwortliche Moderation der Arbeitsgruppe angedacht. Gleichzeitig wird dort auf eine Ausarbeitung der Gleichstellungsbeauftragten (Stand 30.11.2023) verwiesen, die Defizite, Möglichkeiten und Maßnahmen bereits beschrieben habe – und in der ein regelmäßiger Austausch über Rat für Kriminalitätsvorbeugung oder Runden Tisch empfohlen werde.
Politisch ist die Ausgangslage klar: Der Beschluss selbst war mit einem klaren Auftrag verbunden – betonte die Istanbul-Konvention als in Deutschland geltendes Recht seit Februar 2018 und leitet daraus die kommunale Verantwortung ab, Gewaltprävention und Hilfestrukturen systematisch zu stärken. Genau dafür sollte Schwerin einen kommunalen Maßnahmenkatalog entwickeln. Doch dieser blebibt weiter hinter den Erwartungen zurück.
Stand Dezember 2025 bleibt damit die entscheidende Frage offen: Wann wird aus „in Bearbeitung“ ein beschlussreifes Programm – mit konkreten Maßnahmen, Prioritäten, Zuständigkeiten und Ressourcen? Denn solange das nicht auf dem Tisch liegt, bleibt die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Schwerin vor allem eins: ein Auftrag, der immer wieder neu gestartet wird.














