(fab)
Eine Anfrage des Stadtvertreters Henning Foerster an Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier legt offen, wie oft das Jobcenter Schwerin Leistungen kürzt – und wie häufig diese Entscheidungen später korrigiert werden müssen. Die Zahlen für das Jahr 2024 zeigen: Es gibt in Schwerin nicht nur viele Sanktionen, sondern auch eine beachtliche Zahl rechtswidriger oder fehlerhafter Bescheide.
Im Zeitraum von Januar bis Dezember 2024 hat das Jobcenter Schwerin insgesamt 619 Leistungsminderungen ausgesprochen. Gemeint sind Kürzungen des Bürgergeldes, etwa weil Termine nicht wahrgenommen oder Mitwirkungspflichten als verletzt angesehen wurden. Für die Betroffenen bedeutet das unmittelbar weniger Geld im Monat – oft bei ohnehin knappem Budget.
Die Antwort der Verwaltung weist außerdem 771 Widerspruchsverfahren im Jahr 2024 aus. Der Schwerpunkt dieser Verfahren lag im „leistungsrechtlichen Bereich“, also zum Beispiel bei der Höhe der bewilligten Leistungen, den Kosten der Unterkunft oder der Anrechnung von Einkommen. Von diesen 771 Widersprüchen mussten 151 Bescheide vollständig und 42 zumindest teilweise korrigiert werden. In 193 Fällen hatten die Betroffenen also Erfolg. 452 Widersprüche wurden zurückgewiesen, 67 erledigten sich „auf sonstige Weise“, etwa durch Rücknahme.
Ein drittel der Sanktionen sind rechtwidrige Sanktionen – klagen lohnt
Rechnet man nur mit den vorliegenden Zahlen, bedeutet das: Mindestens ein Viertel aller Widersprüche im Bereich des Jobcenters führte dazu, dass der ursprüngliche Bescheid ganz oder teilweise aufgehoben oder geändert werden musste. Bezogen auf die bereits entschiedenen Verfahren liegt die Fehlerquote sogar bei knapp einem Drittel. Hinter diesen nüchternen Prozentangaben stehen jeweils konkrete Menschen, deren Existenzsicherung zunächst zu Unrecht gekürzt oder falsch berechnet wurde.
Auch vor Gericht endet nicht jede Auseinandersetzung zugunsten des Jobcenters. Für das Jahr 2024 nennt die Verwaltung 68 neu eingereichte Klagen im Zuständigkeitsbereich des Jobcenters Schwerin. Weil viele Verfahren sich über mehrere Jahre hinziehen, werden die gerichtlichen Entscheidungen unabhängig vom Jahr der Klageerhebung zusammengefasst. Im Jahr 2024 fällten die Gerichte in 142 Fällen Entscheidungen oder es kam zu sonstigen Erledigungen.
Zusammengenommen ergibt sich ein deutliches Bild: Neben den 619 im Jahr 2024 verhängten Leistungsminderungen stehen mindestens 193 erfolgreiche Widerspruchsverfahren und 50 erfolgreiche oder einvernehmlich beendete Klageverfahren, in denen Bescheide geändert wurden oder das Jobcenter einlenkte. Es geht also um über 240 Fälle, in denen Entscheidungen des Jobcenters nicht haltbar waren – sei es, weil sie rechtlich angreifbar waren oder weil die Behörde im laufenden Verfahren doch nachgab.
Gleichzeitig bleiben zentrale Fragen offen. Wie viele dieser erfolgreichen Widersprüche und Klagen sich konkret auf Sanktionen, also Leistungsminderungen, beziehen, wird statistisch nicht ausgewiesen. Auch die durchschnittliche Dauer der Widerspruchs- und Klageverfahren kann die Verwaltung nicht benennen; dazu lägen keine entsprechenden statistischen Daten vor. Ebenfalls nicht beantwortet werden konnte die Frage nach der Zahl der sogenannten „Totalverweigerer“ im Bereich Schwerin – hier verweist der Oberbürgermeister auf „statistische Besonderheiten“, die nur Auswertungen auf Landesebene zuließen.
Kommentar (stm): Wer sich gegen Entscheidungen des Jobcenters wehrt, hat in Schwerin durchaus Chancen, Recht zu bekommen. Die vorliegenden Zahlen belegen eine hohe Korrekturquote – und damit zugleich eine erhebliche Fehlerquote bei den ursprünglichen Bescheiden. Für Leistungsberechtigte bedeutet das, dass sich der Gang in Beratung, zu Sozialverbänden oder Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten lohnen kann.
Für die Politik sind die Zahlen ein Hinweis darauf, dass es nicht nur um „Pflichtverletzungen“ der Leistungsbeziehenden geht, sondern auch um die Qualität der Entscheidungen einer Behörde, die über die Existenzsicherung von Menschen in dieser Stadt entscheidet.
Hier kann die Anfrage des Stadtvertreters Henning Foerster nebst der beantwortung durch den Oberbürgermeister eingesehen und heruntergeladen werden:


















