(stm/Kommentar) Die Landeshauptstadt Schwerin überarbeitet aktuell ihren Public Corporate Governance Kodex, der als Maßstab für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung in den städtischen Beteiligungen gelten soll. Die Neuerungen beschreiben die Compliance-Organisation detaillierter und integrieren das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG). Am Grundproblem ändert das jedoch wenig: Der Kodex bleibt ein Ehrenkodex auf freiwilliger Basis, der durch eingebaute Mechanismen die versprochene Transparenz an entscheidenden Stellen wieder relativiert.
Zeit sich das Papier mal genauer anzusehen. Denn schnell wird deutlich – es hält und hielt oft nicht was es verspricht.
Das Grundprinzip der weichen Kontrolle
Der Kodex folgt dem Prinzip „Comply or Explain“: Die Unternehmen müssen die Vorgaben nicht Punkt für Punkt erfüllen, sondern können von Empfehlungen abweichen – sie sind dann lediglich verpflichtet, diese Abweichungen jährlich offenzulegen und zu begründen. Für zahlreiche „Anregungen“ gilt nicht einmal das: Von ihnen darf ausdrücklich abgewichen werden, ohne dass dies irgendwo auftaucht.
Der Kodex selbst knüpft an solche Abweichungen keine direkten Folgen. Ob es Konsequenzen gibt, hängt allein davon ab, wie ernst die politischen Gremien der Stadt die Erklärungen nehmen. Damit wird das Regelwerk im Kern zum Papiertiger: Entscheidend ist nicht der Kodex, sondern der politische Wille, ihn auch wirklich durchzusetzen.
Zudem wird der Kodex bei Minderheitsbeteiligungen – also bei Gesellschaften, an denen die Landeshauptstadt 50 Prozent oder weniger der Anteile hält – nur zur Anwendung empfohlen. Wo private Partner mitentscheiden, verlieren die hohen Transparenzansprüche der Stadt ihre bindende Wirkung und werden zur freundlichen Bitte.
Kontrollverbot für kritische Einzelstimmen
Der Kodex betont die Kontrollrolle des Aufsichtsrats. Gleichzeitig werden die Rechte einzelner Mitglieder klar begrenzt: Ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied kann sensible Akten nicht eigenmächtig einsehen. Akteneinsicht ist nur zulässig, wenn der gesamte Aufsichtsrat dies per Beschluss erlaubt.
In einem politisch besetzten Aufsichtsrat bedeutet das praktisch: Eine kritische Minderheit oder Opposition kann nur dann tiefer einsteigen, wenn die Mehrheit – häufig politisch mit der Geschäftsführung verbunden oder ihr nahestehend – zustimmt. Wer im Gremium unangenehme Fragen stellen will, ist damit auf genau jene angewiesen, deren Handeln er kontrollieren soll. Unabhängige Nachfragen werden nicht verboten, aber effektiv ausgebremst.
Gehalts-Privilegien im Anhang versteckt
Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität bei den Vergütungsregeln der Führungsebene. Der Kodex verlangt zwar eine individualisierte Offenlegung der Gesamtvergütung jedes Geschäftsführungsmitglieds unter Namensnennung – allerdings nicht sichtbar im Beteiligungsbericht, sondern im Anhang zum Jahresabschluss. Dort geht diese Information leicht im Zahlenwerk unter, und ist bisher in einigen Jahreberichten gar nicht zu finden.
Auch heikle Details landen im Schatten des Anhangs: Die Altersversorgungsverpflichtungen gegenüber ausgeschiedenen Geschäftsführern – häufig der teuerste Teil – werden ebenfalls nur dort aufgeführt. Und die vom Unternehmen an Aufsichtsratsmitglieder gezahlten Vergütungen oder gewährten Vorteile für persönlich erbrachte Leistungen, insbesondere Beratungs- oder Vermittlungsleistungen, müssen zwar gesondert angegeben werden , erscheinen aber ebenfalls ausschließlich im Anhang zum Jahresabschluss.
Formal schafft der Kodex damit Transparenz. Faktisch öffnet er eine Hintertür: Politische Mandatsträger können zusätzliche Zuwendungen erhalten, die außerhalb der üblichen Aufsichtsratsvergütung liegen – wer das nachverfolgen will, muss sich erst durch den Anhang graben.
Einvernehmliche Abgänge ohne vorherige politische Kontrolle
Bei der Abberufung von Geschäftsführungen unterscheidet der Kodex fein: Scheidet ein Mitglied der Geschäftsführung nicht im gegenseitigen Einvernehmen aus, muss der Aufsichtsrat zunächst eine Entscheidungsempfehlung abgeben, und das jeweils zuständige politische Gremium wird vor der endgültigen Entscheidung der Gesellschafterversammlung einbezogen.
Ganz anders bei „einvernehmlichen“ Lösungen oder beim schlichten Auslaufen der Bestellung: In diesen Fällen beschließt allein die Gesellschafterversammlung – ein vorheriges Votum von Hauptausschuss oder Stadtvertretung ist ausdrücklich nicht erforderlich.
Damit entsteht ein deutliches Schlupfloch: Gerade besonders sensible Abgänge, die mit hohen Abfindungen verbunden sein können, lassen sich auf diesem Weg abwickeln, ohne dass vorher eine öffentliche politische Debatte erzwungen wird. Im Zweifel erfährt die Öffentlichkeit nur das Ergebnis – nicht den Weg dorthin.
Wer sich die geplante Neufassung mit den entsprechenden Änderungen ansehen will, kann sich hier die Datei herunterladen und einsehen:


















