(stm/ Meinung)
Am Stamstag wird es feststehen: Wird Schwerin zum Weltkulturerbe? Und wenn ja, ist die Stadt ausreichend darauf vorbereitet? Führt eine Ernennung zum Weltkulturerbe wirklich zu mehr Touristen? Ein spekulativer Kommentar.
Die mögliche Ernennung des Schweriner Residenzensembles zum UNESCO-Welterbe könnte einen Ansturm von Touristen nach Schwerin auslösen. Eine 2017 durchgeführte Studie unterstützt diese Annahme mit einigen Zahlen. Laut der Studie hätten 81 % der Deutschen Interesse daran, UNESCO-Welterbestätten zu besuchen. Das würde bedeuten, dass mehr als vier von fünf Deutschen gerne solche Orte besuchen würden. Fast die Hälfte (48 %) der Befragten gab an, dass der UNESCO-Welterbe-Status bei der Auswahl ihres Reiseziels eine Rolle spiele.
Die Studie untersuchte unter anderem das von der UNESCO zum Welterbe ernannte Wattenmeer. Fast ein Drittel (28 %) der Befragten würde das Wattenmeer für einen Kurzurlaub besuchen, und 40 % sogar für einen längeren Urlaub. Wenn man diese Zahlen auf das Schweriner Residenzensemble überträgt, könnte ein ähnlicher Anstieg der Besucherzahlen erwartet werden.
Dass Welterbestätten eine Erhöhung der Touristenzahlen zur Folge haben, ist weitgehend anerkannt. Die UNESCO selbst betont, dass es im ersten Jahr nach der Ernennung zu einem starken Anstieg der Besucherzahlen kommen kann. Dies sei sowohl auf die internationale Berichterstattung als auch auf die kostenfreie Bewerbung in Reiseführern, Blogs und ähnlichem zurückzuführen.
Beispiele aus Wismar und Stralsund
In Wismar und Stralsund, die seit 2002 zum Weltkulturerbe zählen, haben sich die Zahlen ebenfalls deutlich erhöht. In Wismar stiegen die Übernachtungsgäste von 65.000 im Jahr 1995 auf eine halbe Million im Jahr 2019. Auch die Zahl der Tagesgäste erreichte im Durchschnitt knapp 2,5 Millionen pro Jahr. Ein ähnliches Bild zeigte sich in Stralsund: Vor der Ernennung zum Weltkulturerbe lag die Zahl der Übernachtungsgäste bei etwa 250.000, danach stieg sie auf etwa eine halbe Million.
Steigen in Schwerin die Touristen-Zahlen?
Ob und wie stark die Touristenanzahl in Schwerin durch die Ernennung zum Weltkulturerbe steigen wird, lässt sich natürlich schwer vorhersagen. In den letzten Jahren verzeichnete Schwerin etwa 300.000 Übernachtungen pro Jahr. Im Jahr der Bundesgartenschau 2009 verdoppelte sich diese Zahl. Es ist daher möglich, dass Schwerin in dieser Urlaubssaison eine ähnliche Zunahme an Besuchern erleben könnte – wenn es mit dem Weltkulturerbestatus Ende Juli klappen sollte.
ICOMOS: Schwerin ist nicht ausreichend vorbereitet
Die ICOMOS, die unter anderem den abschließenden Bewertungsbericht für die Schweriner Bewerbung verfasste, kritisierte, dass Schwerin nicht ausreichend auf die erwarteten Besucherströme vorbereitet sei. Hier mehr dazu lesen: ICOMOS Bericht
„Vierzehn der achtunddreißig Elemente des nominierten Grundstücks sind heute für die Öffentlichkeit zugänglich“, heißt es dort. Es fehle im Nominierungsdossier an Prognosen zur Besucherzahl und auch der Umgang damit.
ICOMOS empfiehlt der Stadt, nachhaltige Tourismusmanagementmaßnahmen zu entwickeln, sowohl für die öffentlich zugänglichen Gebäude als auch für die Umgebung der Weltkulturerbe Grundstücke und die Pufferzone. Diese Maßnahmen sollten sich insbesondere auf das Management der Besucherströme konzentrieren.
Unterschätzt die Stadt den Weltkulturerbestatus?
In diversen Strategie- und Entwicklungspapieren der Stadt Schwerin wird die Ernennung zum Weltkulturerbe zwar als Ziel definiert, konkrete Maßnahmen zur Bewältigung potenziell steigender Besucherzahlen fehlen jedoch weitgehend. Im Leitbild 2030 für Schwerin wird das Ziel „Weltkulturerbe“ zwar genannt, die Auswirkungen werden dort nicht wirklich diskutiert.
Der Managementplan für Schwerin sieht folgende Maßnahmen vor:
- Verkehrsanbindung: Verbesserung der Straßen- und Schienenverbindungen, um den Zugang zum Residenzensemble zu erleichtern.
- Öffentlicher Nahverkehr: Ausbau und Optimierung des öffentlichen Nahverkehrsnetzes, um eine bessere Erreichbarkeit und Mobilität innerhalb der Stadt zu gewährleisten.
- Parkmöglichkeiten: Schaffung zusätzlicher Parkplätze und Park-and-Ride-Angebote, um den Verkehrsfluss zu verbessern und den Parkdruck in der Innenstadt zu verringern.
- Fuß- und Radwege: Ausbau und Instandhaltung von Fuß- und Radwegen, um umweltfreundliche und sichere Alternativen zum motorisierten Verkehr zu bieten.
Kaum Umsetzung der Maßnahmen
Schaut man sich die Umsetzung der Maßnahmen an, stellt man fest, dass bisher kaum Fortschritte gemacht wurden. Parkplätze fehlen, Park-and-Ride-Flächen sind bisher nicht wirklich ausgebaut worden, und das Nahverkehrsnetz ist bisher nicht wirklich optimiert. Der Managementplan fokussiert zusätzlich eher darauf, noch mehr Touristen Richtung Schloss zu führen, es fehlt hingegen eine umfassende Routenplanung und Besuchersteuerungsmaßnahmen, wie sie die ICOMOS im Falle einer Ernennung zum Weltkulturerbe anregt.
Langfristige Folgen für Einwohnerinnen und Einwohner?
Die Erfahrungen in Wismar und Stralsund zeigen, dass die Ernennung zum UNESCO-Welterbe sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben kann. Überfüllte Mülleimer und verstopfte Straßen in der Hochsaison sind da noch das geringste Problem. Zu den positiven Effekten zählen gesteigerte Besucherzahlen und wirtschaftliche Vorteile für Gastronomie und Hotellerie. Allerdings gibt es auch Herausforderungen und Probleme, wie Erfahrungen aus Wismar und Stralsund gerade in der Hochsaison zeigen:
- Mietpreissteigerung: In beiden Städten wurden steigende Mietpreise beobachtet, gerade in den stark frequentierten Straßen, da die Nachfrage nach Wohnraum durch den Tourismus und das Interesse an Immobilien in attraktiven Lagen zunahm.
- Verkehrsbelastung: Die Verkehrsbelastung in den Innenstädten hat zugenommen, was zu Staus und einem erhöhten Bedarf an Parkplätzen führte. Besonders in der Hauptsaison ist dies spürbar.
- Umweltbelastung: Der verstärkte Tourismus führte zu einer erhöhten Abfallproduktion und Belastung der natürlichen Ressourcen. Es erforderte zusätzliche Anstrengungen, um nachhaltige Praktiken zu fördern und die Umweltbelastung zu minimieren. Dies betraf Mülleimer bis hin zu herumliegendem, weggeworfenem Müll.
Einfluss der Weltkulturerbe-Ernennung auf steigende Touristenzahlen
Es gibt Hinweise darauf, dass die Ernennung zum UNESCO-Welterbe signifikante Auswirkungen auf den Tourismus und das Alltagsleben der Einwohnerinnen und Einwohner haben kann. Eine Untersuchung in Italien etwa zeigt, dass die Ernennung zu einem Anstieg des steuerpflichtigen Einkommens pro Kopf um etwa 2 % fünf Jahre nach der Ernennung führte. Die Immobilienpreise für Luxuswohnungen in stark urbanisierten Gebieten stiegen in den ersten fünf Jahren nach der Ernennung um fast 10 %. Auch die Tourismuszahlen stiegen, da die Sichtbarkeit und Attraktivität der Orte nach der Ernennung zunahm. Natürlich ist Schwerin nicht Rom oder Venedig, ein kritischer Blick ist dennoch angebracht.
Es bleibt nun abzuwarten, wie Schwerin mit diesen potenziellen Herausforderungen umgehen würde. Die Stadt müsste proaktiv Maßnahmen ergreifen, um negative Auswirkungen zu minimieren und positive Effekte zu maximieren. Das Tourismusjahr 2024 könnte Schwerin an eine Belastungsgrenze bringen. Denn zusätzlich zu einer Ernennung zum Weltkulturerbe wird die zentrale deutschlandweite Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Schwerin ausgetragen.
Man darf gespannt sein, wie viel von diesem Szenario in Schwerin tatsächlich eintritt, sollte Schwerins Residenzensemble zum Weltkulturerbe werden. Möglich ist natürlich auch, dass das Potenzial an „Interessierten“, die unbedingt das Schloss besuchen wollen, bereits ausgeschöpft ist. Möglich aber auch, dass Schwerin ein kleiner Touristen-Boom bevorsteht – mit allen positiven und negativen Effekten.
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