(stm/Kommentar)
Mit großer Geste hat Schwerin kürzlich seinen neuen Titel empfangen: UNESCO-Weltkulturerbe. Offiziell geht es um das Residenzensemble rund um das Schloss – ein herausragendes Beispiel historistischer Architektur, eingebettet in eine landschaftlich reizvolle Umgebung. Doch während die Stadt sich in dieser internationalen Anerkennung sonnt, bleiben zentrale Fragen unbeantwortet. Denn was hier als „Authentizität“ und „kulturelles Erbe“ gefeiert wird, ist in Wirklichkeit ein kunstvoll inszeniertes Trugbild: ein Disneyland des 19. Jahrhunderts, das sich als historische Tiefe tarnt.
Schwerin plante bis vor kurzen ein Residenzmuseum – dort wäre Platz für kritische Auseinandersetzung gewesen. Doch dieses Museum will das Land MV nun canceln – weil die Stadt ihre Steuern nicht erhöht und keinen ausgeglichenen Haushalt hat. Dabei wäre eine Aufarbeitung mehr als angebracht.
Nostalgische Selbstinszenierung
Der Historismus, dem das Schweriner Schloss seinen märchenhaften Charakter verdankt, war keine epochemachende Ausdrucksform der kulturellen Aufrichtigkeit, sondern eine bewusste Rückwärtsprojektion. Er war Repräsentationsarchitektur, die Macht durch Stilzitate legitimierte – ein ästhetischer Flickenteppich aus vergangenen Jahrhunderten, geschaffen im Dienste einer Monarchie, die ihren Glanz aus vergangenen Imperien saugte. Mit „historisch“ hat das wenig zu tun – mit nostalgischer Selbstinszenierung umso mehr.
Kolonialismus? Fremdwort im Weltkulturerbe Schwein
Besonders problematisch ist jedoch, was die UNESCO-Auszeichnung verschweigt: die kolonialen Verflechtungen der Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin. Die Residenz war nicht nur ein Ort höfischer Kultur, sondern auch ein politischer Machtmittelpunkt eines Adelsgeschlechts, das aktiv am Kolonialismus beteiligt war – durch wirtschaftliche Interessen, durch Personal, durch ideologische Rückendeckung. Davon ist in der Bewerbung zum Weltkulturerbe ebenso wenig zu lesen wie in der öffentlichen Selbstinszenierung der Stadt. Kein Wort über die koloniale Beteiligung, keine kritische Kontextualisierung, keine Gedenkarbeit.
Stattdessen wird das Schloss samt Umgebung nun unter Denkmalschutz gestellt wie ein auf Hochglanz poliertes Souvenir. Man schützt die Fassade, nicht die Geschichte. Die Stadt wählt ein Narrativ, das bequem ist, touristisch verwertbar und politisch harmlos. Doch Weltkulturerbe sollte mehr sein als ein Etikett für Postkartenidylle. Es sollte auch eine Verpflichtung zur kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sein – und diese beginnt nicht erst bei der Schönheit der Architektur, sondern bei den Schatten, die sie wirft.
Nur Disneyland – Schattenseite werden verdrängt
Wie soll ein echtes kulturelles Erbe aussehen, wenn es auf selektiver Erinnerung basiert? Was ist ein Denkmal wert, wenn es dazu dient, Unangenehmes zu verdrängen? Die Ernennung zum Weltkulturerbe ist für Schwerin Chance und Risiko zugleich. Sie könnte ein Anfang sein, sich dem eigenen historischen Erbe in seiner ganzen Tiefe zu stellen – oder sie bleibt ein weiteres Kapitel in der geschönten Selbsterzählung einer Stadt, die lieber gefallen will, als sich selbst zu erkennen. Denn wer weiß schon, dass abertausende Schädel aus den deutschen Kolonien von einem Herzog ins Schweriner Schloßes gebracht wurden und ein Teil davon noch bis heute verschwunden ist?
Gerade deshalb braucht es jetzt jemanden, der sich dieser Aufgabe offensiv annimmt – eine Initiative, ein Kreis engagierter Menschen, der die blinden Flecken der Stadtgeschichte – in Schwerin selbst sichtbar macht, Kolonialverstrickungen thematisiert und dem Historismus seine Masken entreißt. Ohne eine solche kritische Instanz, sei eine eine Gruppierung, eine Initiative oder eben ein Residenzmuseum – bleibt das Weltkulturerbe ein dekorativer Titel – aber kein Zeichen historischer Verantwortung.
Wer sich tiefergehend mit dem Thema beschäftigen will kann dies über einen der folgenden Links tun:


















