(stm/KOMMENTAR)
Es war ein Abend wie viele im Schweriner Süden. Kinder spielen, Menschen warten auf die Bahn. Doch plötzlich eskaliert die Situation an der Haltestelle Keplerstraße: Schläge, Tritte, Verletzte – laut Polizei rund 150 Beteiligte, viele davon minderjährig. Es ist ein Vorfall, der erschüttert. Aber: Er ist kein Einzelfall. Er ist Symptom einer Stadtpolitik, die seit Jahren strukturelle Segregation (soziale Spaltung) hinnimmt, kleinredet oder schlicht ignoriert.
Lesen Sie dazu auch gerne Statistiken aus der Helbig Studie am Ende des Beitrages.
„Viele fühlen sich dort wohl“ – wirklich?
Erst im Februar sagte Sozialdezernentin Martina Trauth, dass sich „viele Menschen im Mueßer Holz wohlfühlen“ würden. Diese Aussage fiel im Zusammenhang mit der Diskussion um Integration, Bildung und sozialen Zusammenhalt – und sie wirkt angesichts der Eskalation vom Freitagabend wie blanker Hohn. Denn sie steht exemplarisch für ein Denken, das soziale Schieflagen romantisiert und dabei die Realität der Betroffenen verkennt.
Wohlfühlen? In Vierteln mit den höchsten Armutsquoten, den schlechtesten Bildungschancen, dem stärksten Anteil an Menschen ohne Berufsabschluss? Wo über 70 % der Kinder in Armut leben und kaum noch Begegnung zwischen verschiedenen Lebensrealitäten stattfindet? Nein, hier fehlt es nicht an „Wohlfühlmomenten“, sondern an Teilhabe, Durchmischung und Perspektive. Die Politik plant eine Erweiterung der Unterkunft für Geflüchtete, ignoriert dabei die Segregation. Eine der Konsequenzen – Vorfälle wie am gestrigen Abend. Und hier wieder mit dem Finger auf „Ausländer“ zu zeigen, wie es einige Parteien auch nun wieder tun werden, ändert nichts. denn auch in anderen Stadtteilen gibt es Unterkünfte für Geflüchtete, aber keine derartigen Symptome wie am gestrigen Abend im Mueßer Holz.
Gerade rechte Parteien sollten nun ganz ruhig sein, haben diese doch zuletzt eine Verlagerung der Unterkunft für Geflüchtete in „wohlhabendere Stadtteile“ verhindert und bekämpft – und somit dazu beigetragen dass die neue Unterkunft für Geflüchtete ebenfalls im Mueßer Holz angesiedelt wird und dadurch die soziale Segragation aktiv verstärkt.
Segregation ist kein Zufall – sie ist gemacht
Die Eskalation an der Keplerstraße ist kein „außer Kontrolle geratener Abend“, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Vernachlässigung. Schwerin hat – politisch geduldet – eine soziale Trennung zwischen den Stadtteilen zementiert. Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, sozial Schwache, kinderreiche Familien: Sie werden mit ihren Problemen konzentriert, nicht verteilt. Es ist ein städtebauliches wie soziales Versagen.
Wissenschaftler wie Prof. Marcel Helbig warnen seit Jahren: Schwerin gehört bundesweit zu den Städten mit der höchsten sozialen Segregation. Doch statt das Problem aktiv anzugehen, wird es verwaltet, verstärkt, manchmal sogar schöngeredet. Die Aussage von der Sozialdezernentin im Februar ist da nicht nur unglücklich, sie ist symptomatisch für ein Politikversagen, das Konflikte in Kauf nimmt.
Integration braucht Raum – nicht Verdrängung
Wenn Kinder aus Dutzenden Nationen in einem Viertel leben, aber kaum Kontakt zu deutschsprachigen Gleichaltrigen haben, funktioniert Integration nicht. Wenn Jugendsozialarbeit punktuell statt flächendeckend passiert, wenn Schulen an der Belastungsgrenze arbeiten und Begegnungsräume geschlossen werden, dann entstehen Parallelwelten. Nicht weil die Menschen das wollen, sondern weil die Stadt sie darin allein lässt.
Zeit für Ehrlichkeit – Zeit für Strukturwandel
Es braucht jetzt kein Mitleid, keinen Ausländerhass, keine Migrationsdebatte sondern Mut zur Korrekturen. Schwerin braucht einen radikalen Kurswechsel in der Sozial- und Stadtentwicklungspolitik:
- Durchmischung statt Konzentration
- günstigen Wohnraum in allen Stadtteilen
- Mehr statt wie geplant weniger Investitionen in Jugendarbeit und Schulsozialarbeit (Kürzung bei Präventionsprojekten in Höhe von 200.000 Euro wurden gerade erst beschlossen)
- und vor allem: eine neue Ehrlichkeit, was die Lage im Schweriner Süden angeht.
Zur vertiefenden Information empfehlen wir folgende Studie:
Hinweis: Der Kommentar spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Der Kommentar wurde von (stm) Stephan Martini verfasst. Er sitzt für die ask in der Schweriner Stadtvertretung und ist Autor bei http://www.schwerin.news)
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