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Interview mit dem antimilitaristischen Bündnis Schwerin zum Nationalen Veteranentag

Vergange Woche haben wir ein Interview mit dem Veranstalter des Veteranentag in Schwerin geführt und veröffentlicht. http://www.schwerin.news ist stets bemüht Themen von allen Seiten zu betrachten. Deswegen wollen Wir an dieser Stelle auch ein Interview mit den Anmeldern der Gegenproteste veröffentlichen. Wir bedanken uns für die schnelle Bearbeitung und Beantwortung unserer Fragen. Das Interview wurde schriftlich geführt.

Frage 1: Was ist der Hauptgrund für Ihre Gegenveranstaltung? Geht es Ihnen vor allem um die Symbolik des Veteranentags – oder sehen Sie konkrete politische oder gesellschaftliche Gefahren, die von solchen Veranstaltungen ausgehen?

Antwort:
Die Ausrufung eines Nationalen Veteranentages reiht sich ein in eine rasant vorangetriebene Militarisierung der Gesellschaft, die immer mehr Lebensbereiche erfasst, zunehmend Mittel aus den sozialen Bereichen abzieht und damit gesellschaftlichen Zusammenhalt und nicht zuletzt auch unsere Demokratie unterhöhlt. Mit Sorge beobachten wir einen machtpolitischen Rollback, der immer autoritärer und repressiver daherkommt – die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist nur eine Frage der Zeit.

Gleichzeitig hinterfragen wir die Erzählung von „immer mehr Waffen bedeuten immer mehr Frieden“. Mehr Panzer, mehr Drohnen, mehr Raketen – manche scheinen darin eine beruhigende Absicherung für einen möglichen Ernstfall zu sehen. Uns vermittelt es eher ein mulmiges Gefühl, wenn mensch bedenkt, dass genau dieser Ernstfall mit diesen Mitteln überhaupt erst möglich wird.

Im Vorfeld wird Bürgern und Bürgerinnen mittelst propagandistischen Anstrengungen, die meist schon in der Schulzeit ihren Anfang nehmen, eine Identifikation mit „ihrem Staat“ beigebogen und damit die Grundlage für Nationalismus geschaffen. Ist die Illusion eines „nationalen Volkskörpers“ erst einmal in den Köpfen etabliert, kann über reale oder herbeifantasierte Bedrohungslagen zu seiner Verteidigung mobilisiert werden. Genau das erleben wir gerade, nicht nur in Deutschland.

Die globalen Rüstungsausgaben haben letztes Jahr ein Rekordhoch erzielt, gleichzeitig übernehmen in vielen Ländern vermehrt faschistische Kräfte das Ruder. Wenn in vier oder acht Jahren, also in 2033, die AfD an die Macht kommen sollte, dann regiert sie ein Land, das bis unter die Zähne bewaffnet ist. Rechtsruck in Kombination mit Hochrüstung ist die alptraumhafteste Mélange, die wir uns vorstellen können – vor allem in einem Land, das historisch bereits worst-case-Szenarien hervorgebracht hat. Unter anderem davor möchten wir warnen.

Frage 2: Wie wollen Sie vermeiden, dass Ihr Protest von Teilen der Öffentlichkeit als ‚Respektlosigkeit gegenüber traumatisierten Veteran:innen‘ wahrgenommen wird? Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Systemkritik und individueller Würdigung?

Antwort:
Unser Protest richtet sich nicht gegen einzelne Menschen, die sich mit ihrer gesellschaftlichen Rolle als Veteranen identifizieren und um eine bekannte Analogie zu bemühen Positionen in einem Reallife-Schach“spiel“ (oder, moderner: im Squid Game) einnehmen. Wir kritisieren vielmehr die Existenz dieses Schach“spiels“ an sich. Krieg ist immer falsch. Kriegsvorbereitungen ebenfalls. Krieg ist das Verbrechen an sich, es markiert den absoluten Höhepunkt politischen Versagens.

Die Leidtragenden sind fast immer diejenigen, die selbst am wenigsten zur Kriegsentstehung beigetragen haben: die weder in Rheinmetall-Aktien investiert noch andere Menschen in Schützengräben befehligt haben. Die Waffen liefern die Reichen, die Armen die Leichen. Das ist Klassismus in Reinform. Wir halten es für falsch, dass Menschenleben für konkurrierende zwischenstaatliche Interessen geopfert werden.

Frage 3: Wenn Sie den Veteranentag ablehnen: Wie sollte Ihrer Meinung nach stattdessen mit den Erfahrungen von Soldat:innen umgegangen werden – besonders mit denen, die unter den Folgen von Einsätzen leiden?

Antwort:
Die angemessenste und respektvollste Art um Veteranen zu ehren würde ganz einfach darin bestehen keine weiteren Veteranen mehr zu produzieren! Ein paar Beispiele aus den USA: die Zahl der Vietnam-Veteranen, die ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben ist inzwischen höher als die Zahl der Kriegstoten während dieses Krieges. Auch bei Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan im Einsatz waren, gibt es alarmierende Zahlen.

Die traumatisierten Heimkehrer holen sich oft nicht rechtzeitig Hilfe oder es Fehlen schlichtweg adäquate Hilfsangebote. Ein Viertel aller Terroranschläge in den USA (mit mind. 4 Toten) wird von einem Ex-Militärangehörigen begangen, dabei machen Veteranen nur 8% der Bevölkerung aus. Eine Militärvergangenheit ist damit der größte Risikofaktor bei tödlichen Anschlägen und macht Soldaten auch nach dem Dienst zu einer Gefahr für sich selbst und andere.

In Deutschland ist die Waffendichte pro Person zum Glück deutlich niedriger aber wo sind eigentlich die von Rechtsextremen geklauten Waffen hingekommen, die regelmässig aus den Bundeswehrbeständen verschwinden? Die weitaus interessantere Frage ist jedoch folgende: warum denken wir nicht lieber gemeinsam über Möglichkeiten nach, überkommenen und menschenverachtenden Zurichtungen (meist männlich gelesener Körper) durch Militär und Krieg endlich den Boden zu entziehen?

Wenn der unermessliche Aufwand an Kapital, Ressourcen und menschlicher Intelligenz, der weltweit in Kriegsproduktion investiert wird, in die Organisation von großangelegten internationalen Projekten für eine globale Entmilitarisierung umgeleitet würde, dann wären wir dem „guten Leben für Alle“ einen Riesenschritt näher. So utopisch das auch klingen mag – Gesellschaften müssten sich endlich dazu befähigen Pfadabhängigkeiten zu hinterfragen und Szenarien zu entwickeln.

Frage 4: Lokale Bezüge: Schwerin als Ausrichter. In Schwerin gibt es an dem Tag voraussichtlich eine starke militäristische Präsenz. Sehen Sie die Stadt als ‚Symbolort‘ für eine unkritische Militarisierung oder gibt es hier auch Ansätze, die Ihnen positiv auffallen?

Antwort:
Im Vordergrund steht Schwerin als Landeshauptstadt, denn die militärische Hauptstadt von MeckPomm ist inzwischen Rostock geworden. Zum anderen ist hier das Heimatschutzkommando (in der Werderkaserne) untergebracht, eine Einheit die dem Einsatz im Inneren dient, ähnlich wie in den USA die momentan zur Bekämpfung von Aufständen und vielleicht auch in Zukunft bei uns der Niederschlagung von Streiks und Antimilitaristischen Kundgebungen eingesetzt wird.

Frage 5: Demokratie und Meinungsvielfalt. Der Veranstalter betont, der Veteranentag solle ein ‚offener Dialog‘ sein. Warum reicht Ihnen das nicht? Wäre nicht auch eine kritische Beteiligung an der Veranstaltung denkbar?

Antwort:
„Deutschland freut sich auf den 1. Nationalen Veteranentag am 15. Juni 2025“ steht als große Überschrift auf der Regierungs-Homepage. Abgesehen davon, dass ein Nationalstaat gar keine menschlichen Regungen wie z.B. Freude empfinden kann, wird hier versucht die Diversität von 80 Mio Menschen in einer unsinnigen Behauptung zusammenzufassen.

Desweiteren haben viele Veteranen – manche Statistiken sprechen von bis zu einem Drittel der Gedienten – spätestens nach Auslandseinsätzen die Nase voll von Militarismus, ziehen sich zurück oder organisieren sich sogar gegen Krieg und Militär. Diese Menschen werden beim Veteranentag ebenfalls nicht mitgedacht, der sog. „Dialog“ fehlt schon von vornherein.

Es gibt keine Zwangsläufigkeit zwischen Bedrohungslage und maximaler Aufrüstung und mentaler Kriegstüchtigkeit. Es gehört in einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, hier das Maß zu finden. Dieser Prozess hat aktuell noch nicht stattgefunden. Das Meinungsbild in der Bevölkerung ist extrem vielfältig, das ganze Spektrum an Haltungen ist vertreten. Die politische Vereinnahmung des Themas durch populistische Strömungen macht eine gesellschaftliche Debatte schwierig. Es herrscht die Angst, in eine falsche Schublade gesteckt zu werden.

Wir brauchen offene und nicht instrumentalisierte Räume für einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess, damit die Regierung nicht an der öffentlichen Meinungsbildung vorbei weitere Tatsachen schaffen kann.

Frage 6: Langfristige Ziele. Was erhoffen Sie sich langfristig von Ihrem Protest? Soll er vor allem Aufmerksamkeit schaffen – oder konkrete politische Forderungen (z. B. an die Stadt oder Bundespolitik) durchsetzen?

Antwort:
Unser „Bündnis“ ist ein Zusammenschluss von einzelnen Antimilitaristinnen und Antifaschistinnen aber auch Vertreter*innen von DFG-VK und der „IDK“, die sich z.T. schon länger mit dem Thema „Militär und Krieg“ auseinandersetzen und vor allem durch die momentane Entwicklung, das rasante Aufrüsten die Militarisierung der Gesellschaft, das Vorantreiben einer Wehrpflicht aber auch die aktive Rolle Deutschlands bei dem Krieg in der Ukraine und die Beteiligung beim Völkermord im Gaza erhebliche Sorge antreibt.

Wir in Schwerin sind aber nur ein Teil dieser Proteste denn im ganzen Bundesgebiet finden mit großem TamTam Veranstaltungen durch und mit Bundeswehr Veteranenverbände und der Politik statt und entsprechende Proteste … vielleicht ist dies der Anfang einer „Antikriegsbewegung“ die sich gegen die fatale Entwicklung der Vorbereitung von weiteren Kriegen auch bei uns entgegenstellen kann.

Frage 7: Eigene Veranstaltungsformate. Sie planen eine Gegenveranstaltung: Was ist geplant?

Antwort:
Antimilitaristische Kundgebungen:

  • 12.00 Uhr Alter Garten
  • 15.00 Uhr Berta Klingbergplatz (an den Fontänen)
    Mit Livemusik, Theater, wehrkraftzersetzender Lyrik und Reden, Infoständen.

Frage 8: Was möchten Sie noch mitteilen?

Antwort:
Da Menschen mit einer Antikriegshaltung regelmäßig „Sofapazifismus“ und das Fehlen von Lösungsvorschlägen vorgeworfen wird, möchten wir gerne etwas klarstellen: antimilitaristische Haltungen dienen nicht der Strategieentwicklung in bestehenden, bewaffneten Konflikten, sondern der Vermeidung von bewaffneten Konflikten.

Wir sind der Auffassung, dass eine Ausweitung und Militarisierung von Konflikten die Probleme verschärfen und gleichzeitig Handlungsoptionen verengen. Kriege haben Vorlaufzeiten, meist treffen hochgerüstete Parteien aufeinander, die ihre Ideologien von Nation, Religion oder andere ideologische Figuren über die Interessen der Mehrheit der Menschen stellen. Diese Vorphasen sind der Zeitpunkt und der Ort, an dem sich Kriege verhindern lassen.

Wird bereits geschossen, so sind kaum noch wirklich gute Lösungen möglich. Dann sind die Bevölkerungen meist schon rettungslos gegeneinander aufgehetzt, Kriegsgegner und Antimilitaristinnen ermordet, eingesperrt, vertrieben oder geflohen. Sobald Kriegsrecht herrscht sind Medien gleichgeschaltet und Kriegskritik unter Strafe gestellt.

Insofern zielt Antimilitarismus nicht in erster Linie auf laufende Kriege ab, sondern richtet sich gegen die allgemeine Mobilmachung und gegen die Vorbereitung kommender Kriege. Ziel ist es stattdessen, Dynamiken der bewaffneten Marschrichtung in Innen- und Außenpolitik insgesamt in Frage zu stellen und eine dauerhafte Praxis internationaler Solidarität statt Konkurrenz, sowie eines solidarischen Miteinanders zu entwickeln.

Wir bedanken uns für das offene und interessante Interview.

Hier kann das Interview mit dem Anmelder des Verteranentages in Schwerin gelesen werden:



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