(stm/Kommentar)
„Einfach mitmachen – Gemeinsam für unser Schwerin!“ So empfängt die Stadt ihre Bürgerinnen und Bürger auf Klarschiff.SN. Das Portal verspricht schnelle Hilfe bei „vollen Papierkörben, defekten Straßenlaternen, losen Gehwegplatten, Müllablagerungen und Straßenschäden“. Jede Meldung soll an die zuständige Stelle weitergeleitet, der Bearbeitungsstand transparent auf einer Karte angezeigt und die meldende Person automatisch per E-Mail informiert werden. Direkt darunter reiht sich eine Liste aktueller Fälle: dauerhaftes Falschparken, Vandalismus, verstopfte Gullys, kaputte Beleuchtung, illegal entsorgter Hausmüll.
Was nach moderner Bürgerbeteiligung klingt, sieht in der Praxis deutlich ernüchternder aus. Die eigenen Zahlen der Stadt und der aktuelle Tätigkeitsbericht des Rechnungsprüfungsausschusses zeigen: Klarschiff.SN ist kein Vorzeigeportal, sondern ein Warnsignal dafür, wie sehr die Verwaltung mit Beschwerden und Hinweisen inzwischen hinterherhinkt. Was bring Digitalisierung, wenn in der Verwaltung nicht damit gearbeitet wird?
Schöne Worte, vernichtende Bilanz: Wenn das Mitmach-Portal zum Wartesaal wird
Seit dem Start am 1. März 2016 wurden laut offizieller Statistik 15.046 neue Meldungen auf Klarschiff.SN eingereicht. 1.528 Vorgänge sind aktuell aktiv – also noch nicht abschließend erledigt. Allein im letzten Monat kamen 187 neue Meldungen hinzu, aber nur 45 wurden als erledigt verbucht. Auf jede abgearbeitete Meldung prasseln damit mehr als vier neue Hinweise ein. Der Beschwerdeberg wächst schneller, als die Verwaltung ihn abtragen kann.
Ein Blick in die Detailstatistik verschärft das Bild: Mit dem Filter „Schwerin, letzte 12 Monate, alle Kategorien“ stehen 847 Meldungen in der Bilanz. 325 davon werden als offen geführt, 430 als „in Bearbeitung“, 86 gelten als gelöst, 6 sind als „nicht lösbar“ markiert. Fast neun von zehn Vorgängen hängen damit irgendwo im Prozess – oder stecken fest.
Die Bürger nutzen das Portal, das ist unübersehbar. Aus Sicht des Rechnungsprüfungsamtes bestätigt die stetig steigende Zahl der Meldungen die Akzeptanz von Klarschiff.SN. Genau hier beginnt das Problem: Die Stadtverwaltung hat weder Strukturen noch einheitliche Abläufe geschaffen, um mit dieser Beteiligung Schritt zu halten.
Zielsetzung verfehlt – durchschnittlich 72 Tage Wartezeit statt wie versprochen 30 Tage
Im Tätigkeitsbericht zur Schwerpunktprüfung „Ideen- und Beschwerdemanagement 2025“ hält das Amt fest, dass der Grundgedanke des Systems – alle Ideen und Beschwerden zentral zu erfassen und auszuwerten – verfehlt wird. Ein einheitlicher Vordruck, über den die Fachbereiche ihre Fälle an das zentrale Beschwerdemanagement melden sollen, ist vielen Diensten gar nicht bekannt und wird schlicht nicht genutzt. Anliegen, die per Mail, Telefon oder auf anderen Wegen hereinkommen, landen oft gar nicht erst im Portal. Die Stadt sieht damit nicht das ganze Bild, obwohl die Bürger die Informationen liefern.
Für das Jahr 2024 nennt der Bericht eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von 72,90 Tagen pro Meldung. Die Stadt hatte sich selbst eine Obergrenze von 30 Tagen gesetzt. Der eigene Anspruch wird mehr als verdoppelt – und zwar nicht ausnahmsweise, sondern im Durchschnitt. Das Versprechen, jede Meldung binnen drei Tagen erstmals zu sichten, wird nach Einschätzung der Prüfer „wiederholt“ nicht eingehalten. Wer eine kaputte Laterne oder eine gefährliche Stelle meldet, braucht offensichtlich Geduld.
Statuskosmetik statt Problemlösung: „Gelöst“ auf der Karte, Baustelle vor der Tür
Beim Umgang mit den Statusangaben arbeitet die Verwaltung zusätzlich an der Optik. Das Rechnungsprüfungsamt beschreibt, dass der Status „gelöst“ häufig schon dann vergeben wird, wenn ein Anliegen intern weitergeleitet oder lediglich in eine Planung übernommen wurde. Vor Ort hat sich oft noch nichts verändert, aber auf der Karte wirkt der Fall erledigt.
Umgekehrt werden Meldungen als „nicht lösbar“ abgehakt, obwohl die fachliche Prüfung noch gar nicht abgeschlossen ist. Solche Kniffe schönen die Statistik – sie lösen aber kein einziges Problem auf der Straße. Das Amt schreibt ausdrücklich, dieses Vorgehen schade der Akzeptanz von Klarschiff.SN. Wer auf Transparenz vertraut, bekommt so im Zweifel nur eine hübsch eingefärbte Karte.
Gelöscht, verschoben, vertagt: Wie Beschwerden im System verpuffen
Besonders brisant: Die Prüfer fanden wiederholt Löschungen von Meldungen, ohne nachvollziehbare Begründung und ohne Information an die Betroffenen. Ein Portal, das Transparenz verspricht, lässt damit im schlimmsten Fall Beschwerden spurlos verschwinden. Das Rechnungsprüfungsamt fordert klare, enge Regeln für jede Löschung und eine saubere Dokumentation, damit Hinweise nicht einfach im digitalen Papierkorb landen.
Auch an anderer Stelle hakt es beim Informationsfluss. Interne Kommentare, mit denen verschiedene Fachbereiche ihre Arbeit an einer Meldung nachvollziehbar dokumentieren könnten, fehlen häufig. Für die zentrale Beschwerdestelle wird es so zum Puzzle, im Nachhinein zu rekonstruieren, was in welchem Fachamt passiert ist und warum ein Vorgang seit Monaten in der Warteschleife hängt.
Die Möglichkeit, abgeschlossene Meldungen zu „unterstützen“, also per Klick zu zeigen, dass viele Menschen dasselbe Problem sehen, wird faktisch ignoriert. Die Verwaltung wertet diese Signale nicht aus. Ob sich viele Anwohner über dieselbe Gefahrenstelle ärgern oder nur eine Person, spielt im System derzeit kaum eine Rolle.
Bürger liefern kostenlos Daten – die Verwaltung stolpert über ihre eigenen Abläufe
Organisatorisch zeigt sich das gleiche Muster. Das Ideen- und Beschwerdemanagement, das seit 1. Januar 2005 besteht und direkt dem Oberbürgermeister unterstellt ist, sollte eigentlich der zentrale Knotenpunkt sein. Doch die Handlungsleitlinie zu Klarschiff.SN ist veraltet, Nutzergruppen und Zuständigkeiten sind nicht gepflegt, Vertretungsregelungen bleiben lückenhaft.
Ausgerechnet in den stark betroffenen Bereichen Ordnung und Verkehrsmanagement verfügen die zuständigen Führungskräfte über keine eigenen Nutzerkonten. Eine echte Kontrolle darüber, wie Meldungen abgearbeitet werden, ist so kaum möglich. Je nachdem, welcher Sachbearbeiter einen Fall in der Hand hat, unterscheiden sich Statusangaben, Sprache und Qualität der Antworten deutlich. Verbindliche Musterabläufe und technische Vorgaben fehlen. Die Stadt spricht gern von einem „einheitlichen Auftritt“, tatsächlich präsentiert sie den Bürgerinnen und Bürgern ein Verhalten nach Zufallsprinzip.
Trotz aller Kritik konstatiert das Rechnungsprüfungsamt, dass sich die Dienstleistungsqualität der Verwaltung seit Einführung von Klarschiff.SN grundsätzlich verbessert habe. Bürger können heute einfacher melden, was vor der Haustür schiefläuft. Ohne eine regelmäßige, systematische Auswertung aller Eingänge – mindestens halbjährlich – bleiben strukturelle Probleme aber unsichtbar. Problemfelder lassen sich nicht früh erkennen, proaktives Handeln bleibt die Ausnahme.
Der Rechnungsprüfungsausschuss hat den Prüfbericht zur Schwerpunktprüfung einstimmig zur Kenntnis genommen und sich den Feststellungen des Amtes angeschlossen. Klar ist damit: Es handelt sich nicht um die Meinung einiger kritischer Beamter, sondern um eine offizielle Diagnose der Kontrollinstanz der Stadtvertretung.
Klarschiff.SN könnte ein starkes Werkzeug sein: Die Bürger liefern kostenlos Hinweise, wo die Stadt im Alltag knirscht. Solange aber Bearbeitungszeiten von im Schnitt fast 73 Tagen, 1.528 offene Fälle und kosmetische Statuspflege die Realität bestimmen, droht das Portal zum Alibi zu verkommen. Wer Schwerinerinnen und Schweriner auffordert, „gemeinsam für unser Schwerin“ mitzumachen, muss jetzt zeigen, dass ihre Meldungen mehr sind als bunte Punkte auf einer Karte.
Hier kann der Prüfbericht eingesehen und heruntergeladen werden (ab Seite 13)
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