(Kommentar von Stephan Martini)
Schwerin will Welterbe werden, aber ist das Residenzensemble wirklich ein Erbe für die Welt? Die Bewerbung der Landeshauptstadt stößt nicht nur auf Begeisterung, sondern auch auf Kritik. Denn die prächtigen Bauten und Gärten sind nicht nur Zeugnisse der mecklenburgischen Geschichte, sondern auch Symbole des Kolonialismus und der sozialen Ungleichheit so die These. Ein Kommentar.
Das Schweriner Schloss wurde im 19. Jahrhundert im Stil der Neorenaissance umgebaut und mit kostbaren Kunstwerken ausgestattet. Viele davon stammen aus den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika und Asien, die unter brutaler Ausbeutung und Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung standen. Auch die anderen Gebäude des Residenzensembles spiegeln den Reichtum und die Macht der großherzoglichen Familie wider, die sich von den Problemen und Nöten der einfachen Menschen abhob.
Die Bewerbung um den Welterbe-Titel ignoriert diese dunklen Seiten der Geschichte weitestgehend und präsentiert Schwerin als eine harmonische und idyllische Stadt. Doch ist das nicht eine Verklärung und Verharmlosung der Vergangenheit? Sollte das Welterbe nicht auch die kritische Auseinandersetzung mit den historischen Zusammenhängen fördern? Und wie steht es um die Zukunft des Residenzensembles? Wie kann es nachhaltig erhalten und für alle zugänglich gemacht werden? Wie kann es zu einem lebendigen Ort der Kultur und Bildung werden?
Die Zeit des Kolonialismus
Der Kolonialismus war nicht nur ein politisches und wirtschaftliches Phänomen, sondern auch ein ideologisches und kulturelles. Er basierte auf der Vorstellung, dass die europäischen Nationen eine höhere Zivilisation und Kultur besaßen als die kolonisierten Völker, die als rückständig, primitiv und minderwertig angesehen wurden. Diese rassistische und eurozentrische Sichtweise prägte auch die Wissenschaft, die Kunst und die Bildung in der Kolonialzeit. Die kolonialen Herrscher versuchten, ihre Werte und Normen den unterworfenen Gesellschaften aufzuzwingen und deren kulturelle Identität zu zerstören oder zu verfälschen. Die kolonisierten Völker wurden entweder als Objekte der Ausbeutung oder als Objekte der Barmherzigkeit behandelt, aber nie als Subjekte der Geschichte.
Herzoge die sich in Kolonialverbänden engagierten, Herzoge die regelmäßig Reisen in die Kolonien unternahmen. Den Kolonialismus auslebten und stellenweise prägten.
Die soziale Ungleichheit war eine weitere Folge des Kolonialismus. Die kolonialen Gesellschaften waren durch eine tiefe Kluft zwischen den privilegierten Kolonisatoren und den benachteiligten Kolonisierten gekennzeichnet. Die Kolonisatoren hatten Zugang zu Bildung, Gesundheit, Recht und Politik, während die Kolonisierten von diesen Bereichen ausgeschlossen oder marginalisiert waren. Die Kolonisatoren lebten in luxuriösen Villen oder Palästen, während die Kolonisierten in Armut und Elend vegetierten. Die Kolonisatoren genossen Freiheit und Selbstbestimmung, während die Kolonisierten Unterdrückung und Gewalt erlitten.
Diese Aspekte des Kolonialismus und der sozialen Ungleichheit sind in der Bewerbung Schwerins um den Welterbe-Titel kaum thematisiert. Stattdessen wird das Residenzensemble als ein harmonisches und repräsentatives Ensemble dargestellt, das die mecklenburgische Geschichte und Kultur widerspiegelt. Doch diese Geschichte und Kultur sind nicht unabhängig von den globalen Verflechtungen und Machtverhältnissen zu verstehen, die durch den Kolonialismus geprägt wurden. Das Residenzensemble ist nicht nur ein Erbe für die Welt, sondern auch ein Erbe aus der Welt. Ein Erbe, das kritisch hinterfragt werden muss.
Dem Volk kaum zugänglich
Die normale Bevölkerung hatte damals nicht freien Zutritt zu den Gebäuden des Residenzensembles, sondern war von der fürstlichen Pracht und Macht ausgeschlossen. Die Gebäude dienten vor allem der Repräsentation und der Verwaltung des großherzoglichen Staates, der sich von den Interessen und Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger abgrenzte. Die Bevölkerung Schwerins war im 19. Jahrhundert vorwiegend bäuerlich oder handwerklich geprägt und litt unter den Folgen der Industrialisierung, der Landflucht und der sozialen Frage. Die politische Partizipation war gering, die Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt, die sozialen Spannungen hoch. Die Bevölkerung Schwerins war daher nicht nur räumlich, sondern auch sozial und kulturell von dem Residenzensemble getrennt. Das Residenzensemble war nicht das Erbe der Bevölkerung, sondern das Erbe der Fürsten.
2024 wird die UNESCO entscheiden, ob Schwerin den Titel Welterbe erhält. Man kann es sich wünschen, man kann es befürworten, doch der Blick auf die Schattenseiten, darf durch den Glanz der goldenen Kuppel des Schweriner Schloß nicht einfach abgewandt werden.
Auch heute ein Symbol für die soziale Spaltung in der Stadt
Die soziale Ungleichheit in Schwerin ist nicht nur ein historisches Phänomen, sondern auch ein aktuelles Problem. Laut deiner bundesweiten Studie gibt es deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtteilen in Bezug auf Einkommen, Bildung, Gesundheit und Lebensqualität. Die Stadtteile Altstadt, die Schelfstadt, die zum Residenzensemble gehören oder angrenzen werden teurer werden. Währen die Innenstadt, die Gebäude zum Residenzensemble, für den Tourismus aufpoliert werden, verfallen andernorts Gebäude, abseits des Stadtkernes. Während in der Altstadt die Mieten für finanzschwache nicht oder nur schwer zu stemmen sind, entwickeln sich Stadtteile in der die Segregation ungeahnte Armut auslöst und verfestigt. Mueßer Holz, Krebsförden, Lankow – die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadtteile profitieren kaum von dem kulturellen und touristischen Wert des Ensembles.
Die Bewerbung um den Welterbe-Titel sollte daher nicht nur die architektonische und historische Bedeutung des Ensembles betonen, sondern auch die sozialen Herausforderungen und Chancen berücksichtigen.
Mehr Transparenz und Bewerbung in allen Stadtteilen nötig
Wie kann das Residenzensemble zu einem Ort der Begegnung und des Dialogs zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen werden? Wie kann es zu einem Motor für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der ganzen Stadt werden? Wie kann es zu einem Modell für eine nachhaltige und inklusive Stadtgestaltung werden? Wie kann erreicht werden, das Schwerin als ganzes von der Welterbe Bewerbung und einem Welterbe Status profitiert? Diese Fragen sollten nicht unbeantwortet bleiben, wenn Schwerin Welterbe werden will – und zwar nicht nur für Touristen, sondern auch für alle in Schwerin lebenden.